Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
denn?«
»Ach, mach dir darüber keine Gedanken.«
»Nein, nein, erzähl mir davon.«
»Na ja, wahrscheinlich haben die meisten einen Vater, der nie zu Hause ist und, falls doch, regelmäßig Tobsuchtsanfälle kriegt. Oder eine Mutter, die wie ein Zombie auf Beruhigungsmitteln durch die Gegend läuft und sich für niemanden außer ihren Tennislehrer interessiert. In einem großen schönen Haus zu leben ist sicher ganz nett, es sei denn, man hätte viel lieber ein kleines, aber gemütliches Zuhause so wie du.«
Hätte Davina nicht so traurig ausgesehen, wäre April in schallendes Gelächter ausgebrochen.
Vergiss nicht, sie ist ein bösartiger Vampir, dachte sie. Aber konnten Vampire keine Probleme haben? Zeitweise war es eine echte Qual, Teenager zu sein, aber die Vorstellung, mit Mum und Dad für immer unter einem Dach leben zu müssen, ohne die Aussicht, dass sich jemals etwas daran änderte … Das Leben als blutrünstiges Monster musste einem doch irgendwann einmal zum Hals heraushängen.
April kicherte.
»Was denn?«, fragte Davina und versteifte sich. »Worüber lachst du?« April hörte die Kränkung in ihrer Stimme, als Davina sich zum Gehen wandte.
»Nein, tut mir leid, Davina«, sagte April und lief ihr nach. »Ich wollte dich nicht ärgern. Es ist nur …«
»Was?« Davina fuhr herum und stemmte trotzig die Hände in die Hüften, doch in ihren Augen glitzerten Tränen. Genauso wie damals, als sie über Layla gesprochen hatte. Vielleicht irrte Gabriel sich ja, und Vampire konnten doch so etwas wie Schmerz empfinden.
»Ich musste nur gerade an die Beerdigung meines Vaters denken. Weißt du noch, wie du zu mir nach Hause gekommen bist? Ich habe mich in Grund und Boden geschämt und mich gefragt, was du wohl denkst, wenn du unsere Terrasse siehst, die gerade mal so groß ist wie ein Handtuch. Und jetzt erzählst du mir, dass du lieber dort wohnen würdest als hier.«
Davina zog ein Papiertaschentuch aus einer Schachtel und tupfte sich die Augen trocken.
»Na ja, eigentlich ist es ganz okay, hier zu wohnen, und ich sollte mich nicht beschweren, aber manchmal ist es so … kalt und dunkel hier. Ich weiß, dass das völlig verrückt klingt, aber nach einer Weile bist du es einfach leid, ständig in Deckung zu gehen und Angst haben zu müssen, dass jemand dahinterkommt.«
»Dahinterkommt?«
»Dass jemand merkt, dass du gar nicht so bist, wie alle glauben. Sondern eine Mogelpackung.« Sie putzte sich die Nase. »Du gibst nie vor, jemand zu sein, der du nicht bist. Deine Familie, dein Zuhause kamen mir so warm und geborgen und so voller Leben vor. Und deine Mum ist ziemlich ungewöhnlich …«
»Das kannst du laut sagen.«
»Aber das ist doch wunderbar! Sie betrinkt sich ab und zu, geht in Clubs und macht eben ihr Ding. Ich wünschte, meine Eltern würden ab und zu mal aufhören, die Vorzeige-Schickis zu spielen, und sich geben, wie sie wirklich sind.«
»Aber dein Dad steht doch auf miese Disco-Songs, oder nicht?«
Davina lachte traurig.
»Allerdings, aber das ist wahnsinnig peinlich. Es ist fast, als hätte er diese eine Eigenschaft entwickelt, um in der Öffentlichkeit wie ein Mensch zu wirken. Nach dem Motto ›Seht her, ich tanze zu Duran Duran , also kann ich kein ganz übler Kerl sein.‹. Ich wünschte, ich hätte so eine enge Beziehung zu meinen Eltern wie du zu deiner Mum und deinem Dad.«
Plötzlich spürte April Tränen aufsteigen.
»Oh Gott, jetzt habe ich dich auch noch angesteckt«, rief Davina, zupfte ein weiteres Papiertaschentuch aus der Schachtel und reichte es April.
»Nein, nein, es liegt nur daran, dass es ja noch nicht lange her ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es mit jedem Tag schwerer wird anstatt leichter. Ich schätze, meine Mum kommt halbwegs klar, ich wünschte nur, sie würde sich ein bisschen mehr öffnen. Seit Dads Tod ist sie so in ihrer Trauer gefangen, dass es sich manchmal anfühlt, als wäre ich ihr eine Last oder als würde ich sie nur an ihn erinnern oder so.«
»Vielleicht solltest du ihr noch eine Chance geben.«
»Das sagt ja die Richtige.«
»Ich habe ja versucht, mit meiner Mutter klarzukommen. Immer wieder. Aber aus ihr wird eben nie eine Mum werden, die Apfelkuchen backt und Socken strickt.«
»Aus meiner auch nicht.« April putzte sich die Nase und lachte. »Siehst du? Ich habe ja gleich gesagt, das hier ist besser als jede Therapie.«
Nachdem April ihre Tränen getrocknet hatte, saß sie geduldig mit geschlossenen Augen da, während
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