Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
Ballkleidern, Röcken und Blusen, und in den Fächern stapelten sich ordentlich zusammengelegte Jeans und Oberteile. Doch dann schnappte April nach Luft – ein bienenstockartiges Regalsystem nahm die gesamte hintere Wand ein, und in jedem der einzelnen Fächer stand ein einzelnes Paar Schuhe, ausgestellt wie ein Museumskunstwerk.
»Ich habe noch nie so viele Schuhe auf einmal gesehen.«
»Ich kann mich einfach nicht beherrschen«, lachte Davina. »Meine Mutter hat ein Kundenkonto bei Browns, außerdem arbeiten einige meiner Freundinnen in der Presseabteilung von irgendwelchen Modehäusern. Eigentlich müsste ich dringend welche zurückschicken«, sagte sie kichernd.
»Hey, weißt du, was wir machen?«, rief sie. »Ein Komplettumstyling. Haare, Make-up, Klamotten, alles, was denkst du?«
»Oh, ich weiß nicht so recht«, sagte April und sah besorgt von den Kleiderreihen zu Davina. »Ich glaube nicht, dass ich in eines deiner Kleider überhaupt reinpasse.«
»Blödsinn!«, gab Davina zurück. »Bei der Benefizgala hast du doch auch dieses Kleid getragen und toll darin ausgesehen. Komm schon, es macht bestimmt Riesenspaß!« Sie nahm April an der Hand und führte sie durch eine weitere Tür in ihr Badezimmer, das direkt an ihr Zimmer angrenzte.
»Ich bin nicht ganz sicher, Davina«, protestierte April, als Davina sie auf den Wannenrand drückte.
»Ich aber.« Davina drehte die Dusche auf. »Wir werden dir zuerst die Haare waschen und sie dann mit einer ganz sanften Tönung aufpeppen. Du wirst total irre aussehen, glaub mir.«
Plötzlich überfiel April Panik. Das Geburtsmal hinter ihrem Ohr! Sie durfte nicht zulassen, dass Davina ihren Nacken sah – das wäre blanker Selbstmord. Aber vielleicht hatte Davina ihr genau aus diesem Grund angeboten, ihr die Haare zu waschen.
»Na gut, aber lass mich das lieber selber machen.« April nahm ihr die Brause aus der Hand und drehte sie an den Schultern herum. »Geh du lieber und such ein paar Sachen aus deinem Riesenfundus. Ich brauche Schuhe, eine Handtasche und Ohrringe. Absolut alles.«
Davina sah sie überrascht an. »Sicher? Meine indische Kopfmassage ist legendär.«
»Du versuchst nur Zeit zu schinden, weil du glaubst, dass in deinem Kleiderschrank sowieso nichts hängt, was einem Wal wie mir passen könnte.«
»Quatsch. Lass nur mal Tante Vina machen.«
Erleichtert stieß April den Atem aus. Sie beugte sich über die Badewanne und ließ sich das Wasser über den Kopf laufen. Plötzlich musste sie lachen. Als Davina zurückkehrte, grinste sie immer noch übers ganze Gesicht.
»Was ist denn so lustig, junge Dame?«, fragte sie mit gespielter Strenge.
»Ach, einfach alles«, antwortete April und schlang sich ein Handtuch um den Kopf. »Es macht echt Spaß. Eigentlich habe ich dich ja immer für eine egoistische Ziege gehalten.«
»Oh, wie reizend von dir.« Davina spritzte April eine Handvoll Wasser ins Gesicht.
»Nein, ganz im Ernst, Davina. Das ist wirklich nett von dir. Besser als jede Therapie. Genau das, was ich brauche. Vielen Dank.«
Davina wandte den Kopf ab. April hätte schwören können, dass sie verlegen war. Aber konnten Vampire überhaupt verlegen sein? Die fehlende Verbindung zur realen Welt durch Schmerz, Angst oder Unbehagen hat die Vampire ihrer Fähigkeit für menschliche Empfindungen wie Mitgefühl beraubt, hatte Gabriel ihr erklärt. Doch nun stand Davina, eine der zentralen Figuren des Vampirnestes, mit roten Wangen vor ihr. Vielleicht wusste Gabriel ja nicht alles über sie. Wie man ein Mädchen anständig behandelt, wusste er jedenfalls nicht, so viel stand fest.
»Das ist nur Fassade«, sagte Davina leise.
»Was meinst du damit?«
»Die Zickentour«, antwortete sie, nahm einen Reinigungs-pad aus einer Schachtel und strich mit kreisenden Bewegungen über Aprils Gesicht. »Große Neuigkeiten: Ich bin genauso wie alle anderen auch, April. Aber weil mein Vater reich ist, ich in diesem Riesenpalast lebe und viele schöne Sachen habe, gehen alle automatisch davon aus, dass ich eine eingebildete Ziege sein muss. Und nach einer Weile hat man diese ständigen ›Du kannst es dir ja erlauben‹-Kritteleien einfach satt und spielt eben die Rolle, die sie einem zugedacht haben.«
»Du könntest doch auch nett sein.«
»Das habe ich versucht, glaub mir. Aber die Leute erlauben dir ja noch nicht einmal, Schwäche zu zeigen. Wir haben tonnenweise Geld, also können wir ja gar keine Probleme haben, stimmt’s?«
»Was für Probleme
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