Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
kommen.«
»Die armen Füchse.«
»Kann man wohl sagen. Nun ja, die Sache ist vermutlich viel einfacher: Der Künstler hat wahrscheinlich viele Füchse hier in der Nähe beobachtet – immerhin war Highgate vor zweihundert Jahren noch eine ländliche Gegend.«
Er zog das Tablett zu sich heran und schnitt einen großen Biskuitkuchen an; Marmelade und Sahne quollen an der Seite heraus.
»Aber warum erzählst du mir nicht einfach, wie ich dir weiterhelfen kann?«
Tja, wie konnte er ihr helfen? Mr Gill hatte ihr ans Herz gelegt, die Kirche aufzusuchen, doch nun hatte sie den Verdacht, dass er ihr lediglich durch die Blume zu verstehen gegeben hatte, sie solle sich geistlichen Beistand suchen. Doch darauf konnte sie getrost verzichten. So richtig glaubte sie sowieso nicht an Gott. Aber allmählich begann sie, an den Teufel zu glauben – kein Wunder, nach allem, was sie erlebt hatte. Aber wie konnte ihr der Pfarrer bei der Suche nach dem Weißen Buch helfen? Zwischen den Büchern in seinen Regalen befand es sich jedenfalls bestimmt nicht. Die waren alle nicht so alt.
»Wie gut kannten Sie meinen Vater?«, fragte sie schließlich. »Sie sagten vorhin, Sie wären alte Freunde gewesen, aber wir sind doch erst ein paar Wochen vor seinem Tod nach Highgate gezogen.«
Der Pfarrer lächelte nachsichtig und schenkte ihnen Tee ein.
»Du kannst es dir vielleicht nicht vorstellen, aber ich war nicht immer Pfarrer hier. Ich habe deinen Dad an der Universität kennengelernt.«
»Wirklich? Wow«, erwiderte April, während sie sich fragte, ob ihr Dad genauso alt ausgesehen hatte wie der Pfarrer.
Der Geistliche lachte, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Keine Angst, du kannst es ruhig aussprechen. Ja, völlig richtig, ich bin ein gutes Stück älter als dein Vater. Ich habe damals meine Doktorarbeit geschrieben und war Kaplan an der Uni – ein Pfarrer für die Studenten sozusagen. Tja, aber junge Leute hatten auch damals mit der Kirche nicht viel am Hut, wie du dir wahrscheinlich vorstellen kannst.«
»Mein Vater auch nicht, oder?«
Der Pfarrer hielt kurz inne.
»Nein. Aber junge Menschen durchleben manchmal Krisen, wenn sie zum ersten Mal von zu Hause fort sind. Heutzutage gibt es für solche Fälle bestimmt eine psychologische Beratungsstelle, aber damals konnte man sich nur an den Kaplan wenden, wenn einem etwas auf der Seele lag.«
»Was denn?«
»Ah. Nun, derartige Gespräche sind vertraulich. Lass uns einfach sagen, dass er eine Glaubenskrise hatte.«
»Eine Glaubenskrise? Ich dachte, er wäre nicht religiös gewesen.«
»Nicht in dem Sinne, nein. Aber du weißt ja, welche Art von Büchern er geschrieben hat. Dein Vater war ein Mann, der an Legenden glauben wollte; der immer auf der Suche nach Antworten war und die Wahrheit hinter den Mythen zu finden hoffte. Doch als wir uns damals kennenlernten, wusste er nicht, wie er sich entscheiden sollte.«
Aprils Verwirrung wuchs von Sekunde zu Sekunde.
»Sie meinen meine Mutter? Ich weiß, dass mein Großvater von ihm nicht besonders angetan war. Ich hatte immer das Gefühl, sie hätten eigentlich nur geheiratet, um Grandpa eins auszuwischen.«
Der Pfarrer runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Oh nein, so war es ganz und gar nicht. Deine Eltern haben sich sehr geliebt, das kann ich dir versichern.«
April zuckte mit den Schultern.
»Am Ende habe ich allerdings nicht viel davon gemerkt. Sie haben immer nur gestritten.«
»Hmm, dazu kann ich nichts sagen. Erwachsene scheinen geradezu darauf aus zu sein, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen.«
April lachte. Sie mochte Mr Gordon. Die meisten Erwachsenen hätten bestimmt nicht so offen mit ihr gesprochen.
»Und wann haben Sie meinen Dad zuletzt gesehen?«
Mr Gordon blickte einen Moment lang zu dem ausgestopften Fuchs hinüber, während er seine Gedanken zu sammeln schien.
»Ungefähr eine Woche bevor er starb. Er kam zu mir, kurz nachdem dieses bedauernswerte Mädchen tot auf dem Friedhof aufgefunden worden war. Zum einen wollte er vorbei-sehen und Hallo sagen, da ihr ja gerade erst nach London gezogen wart, zum anderen war er aber in seiner Funktion als Journalist vorbeigekommen. Er wollte hören, ob ich Näheres wusste, insbesondere weil Isabelle …«
April beugte sich vor. »Sie kannten Isabelle?«
»Oh ja. Als kleines Mädchen war sie bei uns im Kirchenchor und später bei den Pfadfinderinnen. Sie hat immer wieder mal reingesehen, immer freundlich gegrüßt. Bis zu dieser seltsamen Sache mit
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