Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
nennen.«
Der Pfarrer nickte. »Da muss ich dir zustimmen. Wenn ich einmal nicht mehr bin, möchte ich gern an ein und demselben Ort bleiben. Außerdem hat die Umbettung nur die Gerüchte über Vampire wieder angefacht.«
April starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Vielleicht hatte Mr Gill sie ja tatsächlich an die richtige Adresse geschickt.
»Vampire?«
Der Pfarrer schüttelte den Kopf.
»Alles Unsinn. Samuel Taylor Coleridge schrieb die allererste Vampirgeschichte. Eine Schauerballade namens ›Cristabel‹, die von einer jungen Dame handelt, die in die Fänge von Vampiren gerät oder vielleicht sogar selbst eine Blutsaugerin ist. Und als der Autor sozusagen aus seinem Grab stieg, ging die Fantasie mit den Leuten vollends durch.«
»Das muss ungefähr zur gleichen Zeit gewesen sein, als all diese Gerüchte über den Friedhof aufkamen, richtig?«
Das Lächeln des Pfarrers wurde ein wenig dünner.
»Nun, so einfach ist das nicht. St. Michael grenzt zwar direkt an den Friedhof, aber eigentlich gehört er gar nicht zur Kirche. Möglicherweise ist dir aufgefallen, dass wir nur selten Gottesdienste für die armen Seelen halten, die dort begraben liegen.«
»Warum ist das so?«
Der Vikar lachte leise, doch sein Lachen klang irgendwie gekünstelt, als wäre dies eine Frage, die er eigentlich nicht beantworten wollte.
»Nun ja, der Friedhof hat ja seine eigene Kapelle, auch wenn heutzutage nur noch sehr wenige Menschen dort beerdigt werden.«
»Aber doch bestimmt nur …«
»Du liebe Güte, du willst alles ganz genau wissen, oder?« Er ging zum Portal und schloss die Tür. »Aber eigentlich sollte ich mich nicht wundern, wenn man bedenkt, wessen Tochter du bist.«
»Kannten Sie meinen Dad gut?«
Er deutete in Richtung des Altars. »Nun, wir waren alte Freunde. Hast du Zeit für eine Tasse Tee? Eine der Chordamen backt immer diese üppigen Kuchen für mich.« Er tätschelte sich den Bauch. »Ich schätze, ich könnte ein wenig Hilfe brauchen.«
Er führte sie links an den Bänken vorbei und öffnete eine kleine Tür. Dahinter lag eine Diele, die, wie April annahm, zur Wohnung des Pfarrers gehörte.
Er bat sie in ein gemütliches Wohnzimmer mit plüschigen Sofas und auf Hochglanz polierten Eichenmöbeln. »Setz dich«, sagte er und machte sich auf den Weg in die Küche, um den Tee aufzusetzen. Vitrinen voller Bücher säumten die Wände, doch April hielt sich nicht lange mit ihnen auf; es handelte sich größtenteils um alte Atlanten und Romane, die sie nicht weiter interessierten. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem auffälligsten Teil der Einrichtung zu: einer Reihe von Glasschränken, die ausgestopfte Tiere beherbergten – ein Wiesel, zwei Tauben und eine zusammengerollte Schlange. Und auf der Anrichte stand ein Fuchs, der leicht zu schielen schien. April trat näher, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen.
»Sind das Ihre?«, fragte sie, als der Vikar mit einem Tablett zurückkehrte.
»Nun ja, mein Geschmack sind sie nicht, aber die Zimmer waren bereits möbliert, und ich habe es nicht übers Herz gebracht, sie zu entsorgen. Und mittlerweile habe ich mich regelrecht mit ihnen angefreundet.«
»Was hat es eigentlich mit den Füchsen auf sich?«, fragte April. »Das Fuchsmotiv scheint sich durch die ganze Kirche zu ziehen, von den Fenstern bis zur Wetterfahne auf der Turmspitze.«
»Oh, das ist nichts weiter als ein kleiner Scherz des Künstlers. So wie die Kathedralenbauer früherer Zeiten die Wasserspeier real existierenden Personen nachempfunden haben. Aber ich werde häufig danach gefragt. Der Fuchs verkörpert den Jäger, deshalb ruht seine Pfote auch auf dem Schwert.«
»Jemand hat mir erzählt, Füchse seien das Symbol für Hexen.«
»Ach wo.« Der Vikar machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn du mich fragst, lesen die Leute viel zu viel in solche Dinge hinein. Aller möglicher Aberglaube basiert darauf, dass hier unter diesem Hügel eine uralte dämonische Macht begraben liegt – und da Füchse unter der Erde leben, hat sich der Irrglaube verbreitet, dass Füchse das Böse in sich tragen.«
April hielt den Atem an. Das war eine der Theorien ihres Vaters gewesen: dass es eine seltsame Krankheit gab, die aus der Erde kam und womöglich von Füchsen verbreitet wurde.
»Unter dem Hügel verbirgt sich das Böse?«, fragte sie.
»Das ist bloß eine lokale Legende, mein Kind. Bei einem so großen Friedhof ist es ganz normal, dass die Leute von Zeit zu Zeit auf solche Ideen
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