Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
herum und riss die Taschenlampe wie eine Waffe hoch. Was war das? Sie sah nichts, doch sie hätte schwören können, dass sie ein Geräusch gehört hatte. Ein leises Kichern. Oh Gott, nicht schon wieder. »Gabriel?«, zischte sie und wich in Richtung Tür zurück. »Gabriel?«
Sie würde auf keinen Fall allein hier draußen stehen bleiben. Langsam trat sie auf die geöffnete Tür zu. Jede Faser ihres Körpers war gespannt, das Blut rauschte pulsierend in ihrem Kopf. Wo war er? Schließlich stand sie vor der Tür. Abrupt wich sie zurück, als Gabriel vor sie trat.
»Verdammt noch mal, Gabe, du hast mich zu Tode erschreckt!«
»Geh da nicht rein«, sagte er und legte den Arm um sie. Es war eine mitfühlende Geste, als wolle er sie beschützen. So wie die Leute bei Dads Begräbnis.
»Wieso nicht?«, fragte sie und versuchte, an seiner Schulter vorbei ins Innere zu spähen. »Was ist da drin?«
»Du solltest das nicht sehen«, antwortete er mit ernster Miene. »Wir sollten jetzt lieber gehen.«
»Nein«, stieß April wütend hervor. Mit einem Mal erschien es ihr enorm wichtig zu erfahren, was dort drin war, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, weshalb. »Was auch immer da drin ist, ich will es sehen«, erklärte sie und versuchte, sich an ihm vorbeizuschieben. »Hör auf, mir ständig zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich bin es leid, pausenlos bevormundet zu werden.«
Mehr als das – sie hatte es satt, nicht zu wissen, was hier gespielt wurde, ständig mit dieser vagen Ahnung herumzulaufen, dass etwas nicht stimmte, und doch immer nur im Trüben zu fischen. Seine Miene verriet ihr, dass sie keine Schachtel mit flauschig weichen Katzenbabys erwartete, doch sie wollte – nein, sie musste – sehen, was dort drin war, auch wenn es noch so schrecklich sein mochte. Sie wich abrupt zur Seite aus und tauchte unter seinem Arm hindurch.
»April, tu’s …«
Doch es war zu spät. Dort, im Eingang zu den Katakomben, hing eine Leiche. An einem Seil aufgeknüpft.
»Großer Gott …« April schlug sich die Hand vor den Mund. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, und sie spürte Galle in ihrer Kehle aufsteigen. Sie erkannte die Gestalt auf Anhieb – das Kleid, der Schuh, der lose an der linken großen Zehe baumelte. Sie wusste, wer das war, und doch richtete sie wie unter Zwang den Lichtkegel der Taschenlampe auf das Gesicht. Sie musste es sehen. Sie musste sicher sein, dass es real war. Beim Anblick der grausig verzerrten Züge entfuhr ihr ein Schluchzen. Gnädigerweise waren die Augen des Mädchens geschlossen, und ihr blondes Haar fiel weich um ihre Schultern, noch im Tod perfekt und bildschön. »Layla«, stöhnte sie. »Oh, Layla.«
Gabriel schloss die Arme um sie, als sie rückwärts aus den Katakomben taumelte, und zog sie vollends nach draußen. Er hielt sie in seinen Armen, während sie von ersticktem Schluchzen geschüttelt wurde. Es war grauenhaft, so entsetzlich, dass es nicht real sein konnte. Tränenüberströmt blickte sie in Gabriels Gesicht.
»Warum?«, fragte sie. »Warum passiert das alles? Gott, warum nur, Gabriel?«
Gabriel antwortete nicht. Was hätte er auch sagen sollen? »Weil Geschöpfe wie ich hergekommen sind, um alles zu zerstören, um dieses Dorf – ja die ganze Welt – in eine Hölle zu verwandeln«, oder etwas in dieser Art? Es war sinnlos, die Situation beschönigen zu wollen, den nicht enden wollenden Horror zu erklären, der sie wieder und wieder heimsuchte. Alix, Isabelle, ihr Vater, ihre eigenen Qualen und jetzt auch noch Layla. Wer war der Nächste? War überhaupt noch jemand sicher? Nein. Niemand. Das war April mittlerweile aufgegangen. Lange Zeit hatte sie sich der naiven Überzeugung hingegeben, dass das Schlimmste hinter ihnen lag und sie nur noch den übelsten Bösewicht schnappen mussten. Doch nun sah sie mit übelkeiterregender Klarheit vor sich, dass all ihre Freunde, Nachbarn, jeder Einzelne von ihnen, jederzeit der Nächste sein konnte. Jeder, der durch Zufall hinter das Geheimnis der Vampire kam oder den die Blutsauger als Gefahr empfanden. Und wenn sie nicht bald, und zwar sehr bald, etwas dagegen unternahmen, würden sich die Leichen in diesem Gewölbe demnächst stapeln.
»Wir müssen dafür sorgen, dass das aufhört, Gabe«, erklärte sie entschlossen.
»Das werden wir, Süße«, sagte er. »Uns bleibt gar keine andere Wahl.«
Siebzehntes Kapitel
L aut Gerichtsmediziner war Layla seit zwei Tagen tot. Das bedeutete, sie war in der Nacht nach Davinas
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