Gefangene der Dunkelheit
ehrenwerten Herrn.«
Sean lächelte bitter und schüttelte den Kopf. »Und meine Gnade bedeutet vermutlich nichts.«
»Ihr gewährt Eure Gnade nur vorübergehend.« Die blauen Augen des Rebellenritters weiteten sich. »Oder etwa nicht?«
»Ihr denkt, ich will Euch töten?« Sean schien ehrlich schockiert zu sein.
»Was sollt Ihr sonst tun, Sir?« Er fand, dass der wilde, junge Rebell in diesem Moment wirklich sehr jung wirkte. »Wenn Ihr mich freilasst, glaubt Ihr, dass ich Eure Geheimnisse dann wahren werde?«
»Meine Geheimnisse?«, echote er. Er lächelte erneut. »Vielleicht nicht. Aber werdet Ihr nicht Siobhans Geheimnisse wahren?« Silas‘ Erschrecken musste sich auf seinem Gesicht gezeigt haben, weil Sean lachte. »Sie ist sehr schön, nicht wahr, Silas?«
»Außerordentlich«, stimmte ihm der Gelehrte zu.
»Wenn man sich vorstellt, was sie hätte werden können …« Seine Stimme verhallte, und sein Lächeln verblasste zu einer ausdruckslosen Maske. »Silas, wisst Ihr etwas über das, was letzte Nacht in ihrem Zimmer geschehen ist?«, fragte er. »Wisst Ihr, was meine Leute ermordet hat?«
Silas dachte einen Moment lang erneut an den Hund, den er gesehen hatte. Er war sich fast sicher, dass er ihn in all den Monaten, seit er auf dem Schloss arbeitete, nie zuvor gesehen hatte. Aber ein Hund allein konnte wohl kaum so viel Unheil angerichtet haben. »Nein, Sean«, antwortete er. »Ich weiß es wirklich nicht.«
Sean beobachtete ihn noch einen langen Moment über und nickte dann. »Ja«, sagte er und wandte sich ab. »Ihr seid frei.«
10
Siobhan fühlte sich nach etwas Schlaf viel besser, aber ihr Geist war noch immer aufgewühlt. Sie beobachtete, wie Clare und Emma mit Clares Puppen spielten, während sie die Nacht im Geiste noch einmal Revue passieren ließ … Tristan in diesem Zimmer, lebendig, aber als Monster. Tristan im Stall, ihr Dämonenliebster in ihren Armen. Er hatte Angus und Sam getötet. Er musste es getan haben. Er hatte geschworen, jeden zu töten, den Sean liebte. Aber nicht sie. Sag ihm, dass du mir gehörst .
Sie öffnete das Kästchen mit den Briefen, die sie vor der Belagerung des Schlosses gesammelt hatte, Tristans Briefe, die seinen Kurieren auf der Straße gestohlen worden waren. Sie hatte seine Schrift monatelang geübt, bis sie eine perfekte Fälschung zustande brachte. Aber sie hatte niemals wirklich darauf geachtet, was er schrieb.
»Lieber Onkel«, begann ein langes Sendschreiben von ihm an einen unbedeutenden Baron in Frankreich.
Ich bedauere auch, dass Ihr Euch nicht in der Lage seht, mir zu helfen, wie ich gehofft hatte. Ich glaube, Ihr wisst, dass ich Euch nicht nur aus einer Laune heraus behelligen würde. Aber da Ihr mir Rat anstatt Silber habt zukommen lassen, erlaubt mir, Euch zu antworten.
Die Handlungsweise, die Ihr vorschlagt, wäre vielleicht förderlich für mich, wenn ich die Absicht hätte, nur so lange wie nötig hierzubleiben, um diese Festung fertigzustellen und die Gemarkung zu sichern. Ich beabsichtige jedoch, DuMaine zu meinem Zuhause zu machen, mich meines Daseins zu erfreuen und meine Tochter inmitten dieser Bauern aufzuziehen. Daher zögere ich, die Last meiner Schulden auf ihre Schultern zu verteilen, besonders wo nun die Rebellen so aktiv und so viele meiner Truppen im Krieg sind. Obwohl Ihr zweifellos recht habt mit Eurer Aussage, dass ihre Armut zumindest teilweise ihrer Unterstützung ebenjener Rebellen zuzuschreiben ist, glaube ich, dass es meinen letztendlichen Interessen dienlicher ist, wenn ich in dieser Angelegenheit Gnade walten lasse, als wenn ich sie entweder auspeitschen lasse oder Steuern erhebe. Da ich die Verwaltung Eurer Ländereien beobachtet habe, weiß ich, dass Ihr mir nicht zustimmen und mich als Narr ansehen werdet – Ihr braucht Euch nicht die Mühe zu machen, mir zu antworten, um mir das mitzuteilen.
Kurz gesagt, Mylord, danke ich Euch für Euren Rat. Sollte sich Eure Situation ändern und solltet Ihr es Euch noch einmal überlegen wollen, mir ein Darlehen zu gewähren, wäre ich höchst dankbar und schwöre, dass Ihr rasche Rückzahlung erwarten könnt, mit welchen Zinsen auch immer Ihr für angemessen erachtet.
Euer gehorsamer Diener und Verwandter,
Tristan DuMaine
Als sie mit diesem Brief zum ersten Mal konfrontiert wurde, hatte Sean ihn laut vorgelesen und Tristan wie den schlimmsten verzogenen, wehleidigen Stutzer klingen lassen. »Er hat zweifellos sein Erbe verspielt und will sich nun an unseren Leuten
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