Gefangene der Dunkelheit
Mädchen und reichte ihr einen verwitterten, in Leder gebundenen Band, der fast so groß war wie eine Tischoberfläche. »Michael hat es heraufgebracht.«
»Wunderbar«, erwiderte sie und öffnete es sofort.
Nach wenigen Seiten der dort verzeichneten Schrecken glaubte sie, nie wieder friedlich schlafen zu können. Ihr Latein war nicht das beste, und der Text war in der üblichen Umgangssprache eines Soldaten der Zeit geschrieben, als Rom noch regierte und die Sprache noch auf den Straßen gesprochen wurde, nicht in der formellen Ausdrucksweise zeitgenössischer Briefe und religiöser Texte, die sie zu lesen gewohnt war. Aber auch wenn sie nur die Hälfte von dem verstand, was dort geschrieben stand, genügte es, um ihr Haar zu Berge stehen zu lassen. Männliche und weibliche Dämonen, Feuer speiende Wurmgötter der irischen Heiden – wenn man dem Verfasser glauben konnte, war er schon allen schuppigen, mit Reißzähnen bewehrten Bestien begegnet, die die Hölle jemals hervorgebracht hatte. Aber bisher glich keine davon auch nur entfernt Tristan DuMaine.
Sie stand nun langsam aus dem Bett auf und trat zum Fenster. In ihrem Traum hatte sie an derselben Stelle gestanden, aber im alten Druidenturm, und den Sonnenuntergang betrachtet. Sie konnte sich an keine besondere Einzelheit erinnern, die sie hätte ängstigen sollen, nur an die Worte, die jemand hinter ihr gesagt hatte. »Der Wolf hat uns gefunden …« Sie hatte die Stimme nicht erkannt, und nun sagten ihr die Worte nichts. Aber das Gefühl von Furcht, das sie in ihrem Traum empfunden hatte, war geblieben.
»Michael hat uns auch noch mehr zu essen gebracht«, sagte Emma. »Die Wache wollte mich ihn nicht einmal sehen lassen.«
»Das tut mir leid, Emma.« Das arme Mädchen hatte nichts falsch gemacht, und es war grausam, dass sie bestraft wurde. Aber Siobhan konnte dagegen nichts tun. Sie nahm ihr Buch mit zum Tisch, um weiterzulesen, und bald hörte sie das Bett hinter sich knarren. Während Emma schnarchte, war Siobhan erneut in die Geschichte des römischen Soldaten vertieft.
Die Schatten waren lang geworden, und im Raum war es schon so dunkel, dass sie daran dachte, eine Kerze anzuzünden, als sie zufällig auf das stieß, was sie gesucht hatte. »Eine traurige, seltsame Geschichte«, so oder so ähnlich begann der Soldat.
Wir trafen in einer Stadt ein, in der gerade eine Hexe gesteinigt werden sollte. Sie war eine wunderschöne, junge Frau, und unser Hauptmann forderte, über die Beweise gegen sie informiert zu werden.
»Sie ist die Gefährtin eine s Teufels«, belehrten die Stadtväter uns. »Ihr toter Ehemann ist zu ihr gekommen.«
Sie zeigten uns Male am Hals des Geschöpfs, die zu beweisen schienen, dass der tote Mann sich an ihrem Blut genährt hatte, und als der Hauptmann sie befragte, schwor sie auch, dass es so sei. »Sie hat ihn heraufbeschworen«, sagte der Priester, der sie verurteilt hatte. »Sie hat Magie benutzt, um ihn in einen Dämon zu verwandeln.« »Nicht ich«, weinte die Frau, aber niemand in der Stadt glaubte ihr. Da der Hauptmann keine Hoffnung sah, mehr aufzudecken, ohne einen Aufstand zu riskieren, erlaubte er ihnen fortzufahren, und die Frau wurde zu Tode gesteinigt.
In der Nacht, in der wir auf dem Anger lagerten, hörten wir von der Kirche her einen Aufruhr – eine Rauferei, so wie es klang. Ein Trupp von uns begab sich auf Erkundung und erblickte etwas, was ich kaum beschreiben kann. Der Dämonen-Ehemann der Hexe war auf der Suche nach ihr zurückgekehrt und nahm nun Rache an der Stadt. Er hatte die Gestalt eines gewöhnlichen Menschen, aber seine Augen glühten wie Kohlen in einem Feuer, und in seinem Mund waren die Zähne eines Löwen zu sehen. Der Priester forderte, dass er im Namen Gottes weichen solle, und der Dämon war einen Moment abgelenkt. Aber als der Priester das Kreuz fallen ließ, das er trug, sprang der Dämon ihn an und riss ihm die Kehle heraus.
Wir griffen das Ungetüm an, aber unsere Schwerter waren so gut wie nutzlos. Wir fügten ihm einhundert Wunden zu, aber keine schadete ihm, da sie alle im Handumdrehen heilten, und ich roch Schwefel in seinem Blut. Schließlich erhob ich, da mein Schwert gebrochen war, verzweifelt einen Holzpfahl gegen ihn und trieb ihn unmittelbar durch sein Herz. Er stürzte mit dem Heulen von eintausend Wölfen und stand nie wieder auf. Einer meiner Kameraden schlug ihm den Kopf von den Schultern, und der Leichnam löste sich in Gallenflüssigkeit auf.
Diese Geschichte hatte
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