Gefangene der Dunkelheit
Sean so sehr fürchtet.«
»Ich?«, stammelte er erschrocken. »Nein, Mylady, das könnte ich nicht.«
»Dann lasst Emma es tun.« Das Mädchen drückte verschwörerisch ihre Hand. »Beeil dich«, befahl sie und schob sie durch die Tür.
»Ich will nicht gehen«, sagte Clare und blickte noch finsterer. »Ich will bei dir bleiben.«
»Und das sollst du auch«, versprach Siobhan. Sie würde ihr Versprechen halten. Sie würde dieses Kind beschützen, als wäre es ihr eigenes. »Aber im Moment musst du mit Emma gehen.«
»Kommt, Mylady«, sagte Emma und streckte die Hand aus. »Wir werden bald zurück sein.« Das Kind gehorchte mit einem letzten langen, fragenden Blick und nahm die Hand des Kindermädchens.
»Trödle nicht, Emma«, sagte Siobhan. »Und bleib nicht lange fort.« Sie zwinkerte ihr hinter dem Rücken der Wache zu. »Ich werde genau hier sein.«
Orlando beobachtete, wie Simon sein Pferd sattelte. »Ich sollte vermutlich keinen Atem darauf verschwenden, Einspruch zu erheben«, sagte der kleine Zauberer ironisch.
»Du kannst es tun, wenn du willst«, erwiderte Simon grinsend. »Aber du kannst mich nicht aufhalten.« Malachi schnaubte, als wollte er unbedingt loslaufen, und Simon kraulte ihn unter dem Kinn. »Es dauert nicht mehr lange. Die Hauptstraße ist nicht weit.«
»Was habt Ihr Lady Isabel in Eurem Brief mitgeteilt?«, fragte Orlando.
»Natürlich alles.« Er schwang sich in den Sattel. »Wenn etwas passiert, möchte ich, dass sie weiß, was aus uns geworden ist.« Er wendete das Pferd. »Sobald ich jemanden finde, der nach Süden will und vertrauenswürdig aussieht, übergebe ich ihm den Brief und reite zurück.«
»Wie Ihr wollt«, erwiderte der Zauberer und nickte. Tristan, ihr neuer Waffenbruder, war in der Nacht zuvor nicht zurückgekehrt. Der Himmel allein wusste, welches Unheil er in seinem Schloss vorgefunden hatte. »Ihr habt ihr doch hoffentlich Grüße von mir ausgerichtet?«
Simon lächelte erneut. »Natürlich.« In Wahrheit zögerte er, seinen kleinen Gefährten allein zu lassen, besonders da Kivar ihnen höchstwahrscheinlich auf den Fersen war. Aber Orlando hatte darauf beharrt, Tristan nicht ganz ohne Anleitung zurückzulassen, ob der neue Vampir nun Hilfe wollte oder nicht. »Ich werde nicht lange fort sein«, wiederholte er und schnalzte seinem Pferd zu. Schließlich ritt er mit einem letzten Winken davon.
Silas betrat die belebte Halle, während ihm die goldfarbene Dogge dichtauf folgte. Die wahnsinnige Geschäftigkeit des Tages hatte in keiner Weise zugelassen, die Schlossbewohner über die Art des Bösen aufzuklären, das sie verfolgte, hatte auch nur wenig dazu beigetragen, ihre Ängste zu beschwichtigen. Die sogenannten Schlosswachen waren kaum einen Monat zuvor räuberische Briganten gewesen. Ihre Disziplin war nicht einmal annähernd vollkommen, und sie waren zornig. »Was sollen wir denn tun, Hauptmann?«, fragte einer von ihnen Sean gerade, als Silas und sein Gefährte hereinkamen. »Abwarten, wer auch immer oder was auch immer es ist, das uns alle nacheinander töten will?«
»Niemand geht allein irgendwohin«, antwortete Sean. »Niemand soll sich ohne einen kompletten Trupp aus diesem Turm hinaus oder von den Mauern herabwagen.«
Die Diskussion machte es Silas und Tristan lächerlich leicht, unbemerkt durch die Halle und auf der anderen Seite wieder hinauszugehen.
Am Fuß der Treppe trafen sie Emma, die Clare an der Hand führte. »Seid gegrüßt, Mistress«, sagte Silas und lächelte ihr zu.
»Meister«, erwiderte sie nickend. Clare drängte sich, offensichtlich aus Angst vor dem Hund, an sie. »Ist schon gut, Liebes«, besänftigte das Kindermädchen sie. »Er scheint recht zahm zu sein.«
»Recht zahm«, stimmte Silas ihr zu. »Ich denke, das kann ich Euch versichern, Lady Clare. Das Tier wird Euch niemals etwas antun.«
Das Kind trat näher heran und hielt eine Hand vor sich ausgestreckt, wie Siobhan es ihr gezeigt hatte. »Er ist hübsch«, traute sie sich zu sagen.
»Prachtvoll«, sagte Silas, lächelte Emma zu und bemühte sich, nicht den Atem anzuhalten. Der Hund stupste gegen Clares Hand, und sie keuchte, zog sich aber nicht zurück.
»Er mag mich«, sagte sie lächelnd.
»Das ist gewiss richtig«, bestätigte Emma.
»Ich bin mir da auch ganz sicher«, sagte Silas. Der Gelehrte bekam zum ersten Mal, seit er ihn heute Morgen gefunden hatte, ein gewisses Gespür für die Qual, die sein junger Freund erleiden musste. Er liebte sein Kind über
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