Gefangene der Sehnsucht
hinten in das Halsbündchen ihres Kleides gesteckt, ihre Augen auf ihre Arbeit gerichtet, ihre Ohren gespitzt für Nuancen von Gefühl und Wahrheit, von denen Angus nicht einmal merkte, dass er sie enthüllte. Als sie fertig war, war das Bild seiner Mutter fünf Fuß lang, mit Dellen, wo die Konturen die Holzbretter kreuzten, lag auf seinem Tisch und lächelte ihn an.
Angus war schon vor langer Zeit in Schweigen verfallen. Sein Atem ging unregelmäßig, die Hände seiner neben den Oberschenkeln herunterhängenden Arme waren zu Fäusten geballt.
»Genauso ist sie«, murmelte er heiser.
Eva nickte, als sie auf das Bild schauten. »Das ist gut.«
Lange Zeit standen sie stumm da und betrachteten das Bild. Danach entzündete er das Feuer, und sie saßen schweigend beieinander. Irgendwo draußen bellte ein Hund. Und noch weiter entfernt war Jamie, der inzwischen vielleicht Father Peter gefunden hatte und der sie höchstwahrscheinlich zurückgelassen hatte.
»Ihr nennt ihn Jamie Lost«, sagte sie ruhig.
Angus rutschte sich auf seinem Stuhl und schaute sie an. »Er war verloren. Wir waren alle verlorene Straßenkinder. In London. Er hat uns gefunden.«
»Warum hasst Ihr ihn?«
Ein verzerrtes Lächeln brannte in seinem Gesicht. »Jemand hat ihn bei sich aufgenommen.«
»Und Euch nicht.« Jetzt verstand sie.
Angus stand langsam auf. »Ich werde Euch jetzt zu Eurem Schlafplatz bringen.«
Sie erhob sich ohne Widerrede. »Wie lange behaltet Ihr mich hier?«
Er zeigte lediglich auf eine schmale Leiter, die in der Ecke stand. Sie führte in einen kleinen fensterlosen Raum unter dem Dach. Eva legte die Hände auf die alten, grauen Holzsprossen. Über einer hingen verschiedene Bänder, in einem matten, dunklen Rosarot, ziemlich bemerkenswert, in der Tat. Ein ruhiger, tiefer und doch faszinierender Farbton. Seide.
Sie löste den Blick von den Bändern und griff nach der nächsten Sprosse.
»Die sind für Euch«, brummte Angus.
Sie hielt inne.
»Die Bänder. Lost hat sie für Euch dagelassen.«
Sie griff danach, umklammerte die feine Seide, zerdrückte sie, was natürlich schrecklich war, das zu tun, aber sie hatte keine Wahl. Sie presste sie an ihre Brust und stieg die Leiter hinauf. Dann verharrte sie und schaute über die Schulter hinunter in Angus’ stacheliges, zerklüftetes Gesicht und sein zorniges, trauriges Auge.
»Könnte ich einen Schluck Wein haben, Angus? Oder vielleicht ein wenig Wasser?«
49
R oger und Ry saßen in der Schankstube des Gasthauses, während Jamie oben im Zimmer sein Bad nahm. Sie waren bereit für ihre zweite Runde Ale, als er herunterkam. Die Getränke wurde rasch serviert, zusammen mit Käse und Brot.
Roger trank mit solch gierigen, lauten Schlucken, dass Ry und Jamie ihre Becher sinken ließen, um ihm zuzusehen. Schließlich setzte Roger den Becher ab, wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen, sah sie ihn anstarren und grinste.
»Eva hat uns nicht oft in einer Schenke haltmachen lassen.«
Jamie lächelte. »Das denke ich.«
Er ließ den Blick ein weiteres Mal durch die Gaststube schweifen. Es war laut, obwohl die Stube nicht sehr voll war, und niemand schien besonders interessiert an den drei Männern zu sein, die ihr Ale tranken und von denen nur einer gewaschen aussah.
»Sag mir, Roger, hast du noch immer vor, dich zu verstecken wie in den vergangenen Jahren?«
Roger setzte sich etwas aufrechter hin. »Nein, Sir. Keinesfalls.«
»Dieses Verhalten hat sein Gutes gehabt, das weißt du. Dadurch hat Eva dir das Leben gerettet. Aus dem Schatten zu treten« – Jamie sah Roger ernst an – »wird eine harte Sache werden.«
Roger nickte ernst, sah aber unbeeindruckt aus.
»Du musst eine Wahl treffen«, sagte Jamie und griff nach seinem Becher.
Roger schaute unbehaglich drein. »Eva hat gesagt, Ihr seid König Johns Gefolgsmann.«
Über den Rand seines Bechers sah Jamie ihn an. »So solltest du mich ganz gewiss betrachten.«
»Aber seid Ihr dann nicht verpflichtet, mich zum König zu bringen?«
Jamie trank einen Schluck Ale, bevor er antwortete. »Ich bin niemandes Gewissen, Roger. Du bist keine Kuh, die man aufs Feld führt, und die Schlacht hat bis jetzt noch nicht begonnen. Ich habe dich gefunden, das ist alles. Oder«, korrigierte er sich, »du und Eva, ihr habt mich gefunden.«
»Und wenn Ihr mich ausliefert …«
»Ich würde ein Lamm nicht dem Mörder seines Vaters ausliefern.«
Rogers Gesicht war angespannt und blass. »Eva hat Euch von jener Nacht
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