Gefangene der Sehnsucht
hat. Aber schließlich hat sie nicht oft Obstpasteten für uns gebacken.«
»Das wird keine Pastete, Angus. Wie viele von diesen ›uns‹ gab es denn?«
Er rieb mit seinem dicken, schwieligen Daumen über die Tischkante und sagte dann ziemlich stolz: »Elf, und alles Jungs, und wir alle haben überlebt und sind groß geworden.«
Eva ließ sich auf ihrem Stuhl zurückfallen. »Aber das ist ja schrecklich, eine solche Schar von kräftigen, gesunden Jungs! Eure arme Mutter musste die Fassung verloren haben, ihr Haus voll mit all dem Dreck, den ihr gemacht habt.«
Angus lachte und streckte seine baumstammgleichen Beine vor sich aus und schlug sie an den Fußgelenken übereinander. Seine Stiefel waren verschrammt und weiß-braun in den Rillen, wie eine schmutzige Landkarte zeugten sie von all der Arbeit, die er in ihnen verrichtet hatte.
»Es gab Tage, da ist sie deswegen fast in Ohnmacht gefallen, ganz sicher sogar. Aber du hättest es ihr nicht angemerkt. Sie war eine gutmütige Seele. Hat nie die gute Laune verloren. Nun«, verbesserte er sich rasch, als Eva die Stirn runzelte, »niemals ohne einen Grund, und der liebe Gott weiß, dass wir ihr Grund genug gegeben haben.«
»Und diese Versorgerin dieser kräftigen, gesunden Jungenschar, wie sah sie aus?«
Angus schien diese Frage zu verblüffen. »Oh, nun, sie war so groß« – er hob die Hand ungefähr auf seine Schulterhöhe – »ungefähr jedenfalls, und irgendwie …« Er hob die andere Hand und hielt beide mit einigem Abstand vor sich hin. Er sah verwirrt aus, als er die Statur seiner Mutter zu erklären versuchte und dabei diese ungenauen Maße benutzte. »Ich wollte sagen, es gab Tage, natürlich, aber schließlich …« Seine Hände gestikulierten hilflos.
»Ihr Haar?«
Er sah sie an. »Braun.«
Eva schüttelte verzweifelt den Kopf. »Welche Art von Braun? Wie der Stamm eines Baumes, den Ihr hochgeklettert und von dem Ihr zweifellos irgendwann heruntergefallen seid und Eure arme Mutter fast zu Tode erschreckt habt? Oder braun wie ein flacher Fluss nach einem Sturm?«
»Wie dies.« Er stupste seinen stumpfen Finger mit großem Nachdruck und großer Entschlossenheit auf die Ringe im Holz des Tisches neben sich. Dunkel, aber rötlich getönt, stellte Eva rasch und geübt fest.
»Gut. Und ihr Gesicht?«
Angus starrte sie verständnislos an. »Eher wie … der flache Fluss?«
Eva ließ sich zum zweiten Mal auf ihrem Stuhl zurücksinken und lachte. Angus stimmte ein, und einen langen Augenblick lachten sie über den Gedanken, dass das Gesicht von Angus’ Mutter die Farbe eines flachen, schlammigen Flusses gehabt hatte, denn Angus’ kurze Antwort hatte diese Schlussfolgerung zugelassen. Und sie lachten auch wegen ein paar Hundert anderer Dinge, über die seit Jahren vielleicht hätte gelacht werden wollen, aber wofür einfach nie die Zeit gewesen war. Eva vermutete, dies könnte auch auf diesen hart-weichen Schotten zutreffen. Deshalb war dieses Lachen, wenn auch nur für einen kurzen Moment, eine einfache und gute Sache.
»Ich werde sie aber nicht so zeichnen«, sagte Eva lächelnd, als sie aufstand und zum Kamin ging.
»Sie zeichnen?«
Angus sprang auf, als Eva an ihm vorbeiging, ohne Zweifel hin- und hergerissen zwischen dem Sich-vergewissern-Wollen, dass sie nicht floh, und dem Wunsch, der Gastgeber zu sein, der für einen weiblichen Gast die Dinge herbeischaffte, die gewünscht wurden. Sicherlich hatte ihm seine Mutter das eingeträufelt.
Eva kniete sich vor die Feuerstelle und tastete in deren kalten Winkeln nach Holzkohle.
»Ich wollte mir gerade ein Feuer anzünden, als ich gestört wurde«, erklärte er mürrisch.
»Das wäre schön.« Eva hatte gefunden, wonach sie gesucht hatte. »Bald wird der Abend kühl werden.« Sie stand da mit einem zerklüfteten, halb verbrannten Scheit Holz in der Hand. Angus betrachtete es verständnislos. »Zum Zeichnen. Könnten wir jetzt eine Kirsche vom Nachbarn stehlen gehen?«
Seine Miene hellte sich auf. »Ah. Die Kirschen.«
»Ah, die Kirschen. Nur zwei, drei Stück.«
Rasch hatte sie ein Stück Holzkohle gespitzt und einige provisorische Farben hergestellt, und mit raschen geschickten Strichen, während sie sich mit Angus über seine Mutter unterhielt, warf sie eine Skizze auf seine Tischplatte, machte lange, lockere Schwünge aus Holzkohle und Fruchtfarbe über die Spanne von sechs Fuß. Sie stand über den Tisch gebeugt da, ging darum, wenn es nötig wurde, beugte sich wieder darüber, das Haar
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