Gefangene der Sehnsucht
reagierte und sie ansah, schnaubte sie verächtlich oder zuckte gleichmütig mit den Schultern und wandte sich ab. Aber Jamies Blick verweilte dann stets noch einen Moment auf ihr, denn im hellen Sonnenschein war sie – auch wenn sie es nicht beabsichtigte – ein Bild verwirrender Sinnlichkeit.
Und sie hatte einen starken Willen. Den er ihr leider würde brechen müssen.
Jamie gab das Zeichen, die Pferde im Schritt gehen zu lassen, und schob seinen Helm weiter in die Stirn. Ein leichter Wind kräuselte das feuchte Haar, das ihm im Nacken klebte, denn die Sonne schien warm auf die Männer in ihren Rüstungen hinunter.
Er winkte Ry, zu ihm zu kommen und neben ihm zu reiten. Die Stricke zu Evas Pferd spannten sich hinter ihnen wie die zu der schwankenden, leichten, aber gefährlichen Fracht auf einem Lastkahn.
»Ich dachte auch, ich hätte einen Verfolger bemerkt«, sagte Ry leise, nachdem Jamie ihm seine Beobachtung mitgeteilt hatte. »Was willst du unternehmen?«
»Ich weiß es nicht. Warum würdest du uns folgen?«
Ry schwieg. »Du meinst, gesetzt den Fall, ich wäre auf der Suche nach Peter von London?«
»Wenn du irgendetwas suchen würdest, aus welchem Grund würdest du uns folgen? Wärest du ein Straßenräuber und hättest dir dummerweise uns als Ziel ausgesucht, dann würdest du uns einfach überfallen. Wir sind an Stellen vorbeigekommen, die sich für ein Dutzend Überfälle geeignet hätten. Aber nichts dergleichen. Andererseits jedoch – solltest du Peter von London suchen, würdest du uns überhaupt nicht folgen.«
Ry sah ihn an. »Und wenn man hinter Eva her ist?«
Jamie stützte die Hand auf den Oberschenkel. »Genau mein Gedanke.«
Ry nickte. »Welche Rolle spielt sie in diesem Stück, was meinst du?«
»Die gleiche Rolle, die auch Father Peter spielt.«
»Das ist ein weites Feld, Jamie. Der Name Peter von Londons steht für wichtige kirchliche Angelegenheiten, für unschöne Machtkämpfe mit dem König und für eine Menge Illuminationen.«
Jamie nickte. Peter von London war ein allen bekanntes, geachtetes Objekt königlichen Unmuts gewesen. Intelligent, selbstbewusst, begabt und viel zu subtil im Denken, um sich König John zu beugen, und das schon von den frühen Jahren an, als die Versprechen noch wohlgeklungen hatten und deren Wahrmachung nicht mit Schmutz behaftet gewesen war. Der König verabscheute Peter von London fast ebenso sehr, wie er Erzbischof Langton verabscheute. Jamies Vater hatte beide bewundert. Peter war vor zehn Jahren geflohen und lebte seitdem im selbst auferlegten Exil – einige nannten es auch Versteck.
Aber jetzt, völlig unerwartet, hatte der Erzbischof seinen alten Freund gerufen, damit dieser ihn bei den Verhandlungen zwischen den Rebellen und dem König unterstützte. Warum?
Und, wichtiger noch, warum hatten die Rebellen, die ebenso viel Interesse wie der König daran hatten, eine unbewaffnete Konfliktlösung zu finden – nämlich gar keines, um es einmal klar auszusprechen –, vorgeschlagen, Peter von London nach England zu holen?
Aber sie hatten diesen Vorschlag gemacht, vor Wochen schon, kurz bevor sie dem König die Treue aufgesagt hatten. Dieser Akt hatte den Wert ihres Vorschlags in beträchtlichem Maße gemindert, aber der König hatte – Überraschung, Überraschung – diesem Vorschlag zugestimmt und ihn unterstützt.
Aber das war auch die einzige Sache, in der der König und die Rebellen in den vergangenen drei Jahren einer Meinung gewesen waren. Ja, auf jeden Fall, bringt Peter von London hierher. Ja, ja, ja.
Es war eine annehmbare, gemeinschaftliche, vernünftige Lösung, und daher stank das Ganze nach Doppelzüngigkeit und falschem Spiel.
Jamie rieb sich den Nacken. »Da steckt mehr dahinter, Ry. Mehr als Verträge und Illuminationen. Und auf eine noch unerklärliche Weise ist Eva darin verwickelt.«
Keiner der beiden hatte auch nur ein wenig den Kopf in ihre Richtung gewandt. Ihre Stimmen waren so leise, dass Jamie sich bemühen musste, Ry zu verstehen, der dicht neben ihm ritt. Nichtsdestotrotz fühlte er, dass Evas Aufmerksamkeit wieder auf ihn gerichtet war und sich wie ein Feuerschein über seine Rüstung legte.
»Und deshalb folgt man uns – wer auch immer es ist.«
Ry nickte. »Was wollen wir unternehmen?«
Jamie schaute ihn an. »Wir werden diesen Jemand zur Strecke bringen.«
Ry nickte wieder.
Sie brauchten nichts als einfache Worte, um über ausgeklügelte Pläne zu reden. Sie hatten schon zu viel zusammen
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