Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Andere sammelten Holz auf den bewaldeten Hügeln. Aber nirgends entdeckte sie einen Bach oder Fluss.
Die Menschen schienen ihr Wasser aus Brunnen zu beziehen. Wasserverkäufer standen an Straßenkreuzungen und boten den Reisenden einen Schöpflöffel voll an, natürlich gegen Entgelt. Aeriel musste dafür genau wie für ihr Essen singen.
Der Reiher saß zu Holz erstarrt auf ihrem Wanderstab. Die kleine Sandlanguste lief, während sie die Laute spielte, zum Entzücken ihrer Zuhörer auf ihrem Ärmel hin und her. Den Gargoyle nannten sie ihren großen grauen Hund.
Das Land war arm und trocken, doch nirgendwo verwüstet wie die verwunschenen Wälder von Bern. Dann erreichte sie eines Tages, der Tagmonat war fast zu drei Viertel verstrichen, einen abgebrannten Hügel. Es roch überall versengt.
Aeriel starrte ihn eine Weile an. Grauling jaulte leise und lief ruhelos auf und ab. Aeriel beruhigte ihn, ging dann weiter auf der Straße und durch ein enges Tal. Sie fragte einen Jungen, der Ziegen auf dem gegenüberliegenden Hügel hütete, warum dort ein Feuer ausgebrochen war. Der Junge blickte von der Holzflöte auf, die er gerade spielte, und zuckte die Schultern. »Vor ein paar Tagmonaten schlief der Engel dort.«
Aeriel fühlte, wie ihr ein Schauder über den Rücken lief. »Fliegt der Engel der Nacht von Bern bis hierher?«
Der Junge schüttelte den Kopf. »Er kommt nicht aus Bern. Es ist unser eigener.«
Aeriel verstand nicht und fragte: »Gibt es in Zambul einen Engel der Nacht?« Der Junge nickte gleichgültig. »Aber euer Land ist schön«, sagte Aeriel. »Kein Pesthauch hat die Bäume verwüstet …«
Der Ziegenhirte blickte über das Tal. »Doch. Da drüben.«
»Aber fast ganz Bern wurde von dem Engel der Nacht dort verwüstet.«
Da lachte der Junge verächtlich. »Ja, weil er nur einen einzigen Aufenthaltsort hat, Tagmonat um Tagmonat, Jahr um Jahr. Und dort überall sein Gift verstreut. Er ist dumm, dieser Engel der Nacht. Verdirbt sich seine Jagdgründe.«
Aeriel wollte etwas sagen, aber der Hirte fuhr fort: »Deswegen leben jetzt fast nur noch Diebe in Bern. Die Kinder sterben alle, sagen die Leute. Und in sechzig Jahren wird es überhaupt niemanden mehr in Bern geben.«
»Aber«, sagte Aeriel, »wenn ihr in Zambul auch einen Vampir habt, wie kommt es, dass das Land unversehrt geblieben ist?«
»Unversehrt?«, fragte der Ziegenhirte. »Gesund? Nicht halb so unversehrt oder gesund, wie es war, ehe er auftauchte. Seit fünfzig Jahren ist er jetzt da. Aber er wechselt ständig seinen Wohnsitz, verstehst du? Dadurch macht sich sein Pesthauch nicht so bemerkbar.«
Der Junge spielte mit seiner Flöte und sah Aeriel nicht an.
»Und nach ein, zwei Jahren erneuert sich die Vegetation an der Stelle, die er verbrannt hat, wieder. Solange halten wir uns
von diesen Orten fern. Deswegen sterben wir auch nicht wie die Menschen in Bern, und unsere Kinder bleiben gesund.«
Aeriel fühlte sich verloren; sie konnte nicht sprechen. Sie hatte angenommen, es gäbe keine Vampire in Zambul. Der Gargoyle heulte plötzlich auf, und die Ziegen des Jungen liefen zusammen.
»Ruf deinen Hund zur Ordnung!«, rief der Hirte.
Aeriel beruhigte Grauling und wandte sich dann wieder an den Jungen. Die Ziegen rupften wieder Gras.
»Ein Engel der Nacht muss jagen«, sagte sie schließlich. »Aber in diesem Land scheint niemand nachts Angst vor ihm zu haben. Die Dörfer sind nicht durch Einfriedungen geschützt, es gibt keine Riegel an den Türen … Wie kann dein Volk sich sicher fühlen?«
»Ah«, sagte der Junge lächelnd und blies ein paar Töne auf seiner Flöte. »Uns passiert nichts, weil wir mit unserem Engel der Nacht einen Handel eingegangen sind.«
Aeriel kniete sich unter ihm auf den rauen Boden des Hügels. »Wie soll ich das verstehen?«
»Wo immer er sich auch niedergelassen hat, um den Tag zu verschlafen, wissen es die Menschen, weil die Bäume absterben und es nach Verwesung stinkt. Also ziehen sie Lose, und das Haus, das verliert, muss bei Nacht einen seiner Bewohner dem Vampir opfern. So einfach ist das.«
Aeriel fühlte, wie es ihr die Kehle zuschnürte. Eine kleine Brise wehte, aber sie konnte kaum atmen. Grauling, der neben ihr lag, fing an zu knurren. Sie beruhigte ihn.
»Die Menschen von Zambul opfern freiwillig Menschen aus ihrer Hausgemeinschaft?«, fragte sie.
Der Junge zuckte die Schultern. »Manche tun es freiwillig, andere nicht. Was spielt das für eine Rolle, wenn uns der Engel dann in Ruhe
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