Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Morgengrauen vergangen waren und sie davor Stunden ohne Nahrung gewesen war. Sie rieb ihre Schläfe und ihren Hinterkopf. Ihr Kopf schmerzte.
Zwei Augen erschienen in dem Spalt vor ihr. »So, kleine Hexe«, sagte der Fürst, »bist du endlich aufgewacht? Wie tief du geschlafen hast, während wir dich hier eingemauert haben.«
Jetzt erkannte Aeriel, wonach es hier roch: nach frischem Mörtel. »Was hast du mit mir vor?«, fragte sie.
Der Fürst lachte. »Ich werde dich mit größter Sorgfalt behandeln. «
»Warum hast du mich eingemauert?«
»Schlösser können aufgebrochen werden«, erwiderte der Fürst. »Aber dieses Verlies hat keine Tür, die man aufbrechen kann. Kleine Hexe, ich bin kein kompletter Narr.«
»Ich bin keine Hexe«, sagte Aeriel.
Der Fürst lächelte. Sie sah die Fältchen um seine Augen. »Und ich vermute, dein Stab verwandelt sich nicht in einen Vogel? Oh, du hast deinen Zauber sehr sorgfältig vor mir verborgen. Aber jetzt, ohne deinen Stab, bleibt dir wohl wenig Macht.«
Aeriel fühlte, wie sie zitterte – vor Wut, nicht vor Kälte. »Oh, wie gut, dass du ein Mann ohne Namen bist. Sonst würde ich dich bei deinem abscheulichen Namen verfluchen.«
»Unverschämtes Balg«, entgegnete der Mann jenseits der Mauer. Seine Augen verschwanden. Er schob eine Brotkruste durch den Spalt. »Stopf deinen Mund damit. Wenn ich meinen Neffen und deinen Knaben eingefangen habe, wirst du vielleicht nicht mehr so unverschämt sein.«
Aeriel fühlte ihr Blut in die Wangen steigen. »Roschka und Erin sind längst verschwunden.«
Der Fürst schien sie nicht gehört zu haben. »Mit der Zeit wirst du Ja sagen«, sprach er weiter. »Wenn ich dich lange genug allein lasse, wirst du nach meiner Gesellschaft hungern. Du wirst Ja sagen.«
»Eryka«, entgegnete Aeriel, »hat nicht Ja gesagt.«
Hinter der Mauer ertönte ein Schrei. Die Wand erzitterte, als er dagegen schlug. »Hexe«, rief er. »Verdammte Hexe!«
Flüchtig sah sie ihn gehen, hörte seine Schritte in der Halle verklingen. Im Verlies wurde es still. Aeriel zitterte noch immer. Ich könnte nie deine Braut sein, dachte sie, denn ich bin die Braut eines anderen.
Irrylath. Die Erinnerung an ihn war plötzlich das Einzige, woran sie sich als Waffe gegen den Fürsten klammern konnte. Ihre Knie wurden weich. Abrupt setzte sie sich auf den Boden, die Handschelle schnitt schmerzhaft in ihr Gelenk. Das Guckloch starrte ihr leer entgegen. Sie war allein.
Lange ließ Aeriel den Brotkanten unberührt liegen. Schließlich blies sie den Staub ab, probierte vorsichtig einige Krumen, konnte aber kein Gift, kein Hungergewürz schmecken. Dann verschlang sie das Brot gierig. Eine Bewegung auf ihrer Schulter ließ sie zusammenzucken. Sie drehte den Kopf und sah ihre kleine Sandlanguste herumkrabbeln. Hatte sie während der ganzen Zeit verborgen in den Falten ihrer Kleidung gesteckt? Sie bot ihr einige Brotkrümel an, aber die Garnele aß nicht davon, sondern wanderte rastlos über ihren Arm.
Nach einer Weile kroch sie auf den Boden und begann damit, das winzige Verlies zu durchforschen, betastete jede Fuge. Schließlich fand sie eine Ritze im Erdwall, und davor blieb sie liegen, ohne die Brotkrumen anzurühren, die Aeriel ihr hinstreute. Vollkommen reglos harrte sie dort aus, schien aber ganz zufrieden zu sein. Ihre kleinen Stielaugen beobachteten Aeriel unverwandt.
Aeriel schritt rastlos in ihrem winzigen Verlies auf und ab, soweit es ihr die Kette erlaubte, denn die mangelnde Bewegung machte sie träge und schläfrig. Sie erzählte Geschichten ohne ihre Laute und spähte durch das vergitterte Fenster hinaus. Manchmal drangen die schweren Schritte von Soldaten und das Klappern von Pferdehufen an ihr Ohr oder das Ächzen der Türangel des großen Tores.
In unregelmäßigen Zeitabständen kam der Fürst zu ihrem Verließ. Er informierte sie über den Verlauf der Suchaktion, dass Soldaten den Garten und die Umgebung durchkämmten, berittene Jäger die Wälder durchforschten. Stundenlang sprach er durch den Spalt zu ihr, abwechselnd flehend und drohend. Mehr als einmal warf er einfach nur einen Brotkanten in das Verließ und stapfte wortlos davon.
Der Tagmonat war zur Hälfte verstrichen, als sie ein Scharren hinter sich hörte, herumwirbelte und den Reiher am Fenster sah, der sich weiß gegen den schwarzen Mittagshimmel abhob.
»Flügel«, rief sie und hielt plötzlich inne. »Warum bist du nicht bei Roschka und Erin?«
Der weiße Vogel klammerte sich
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