Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Hände und Knie aufrappelte und einen Arm gegen seine Rippen presste. Er rang keuchend nach Atem, sprang dann plötzlich auf und stürzte sich auf sie.
Aeriel wich zurück, machte einen Schritt zur Seite und schwang den Knauf ihres Wanderstabes in einem niedrigen Bogen in seine Kniekehlen. Der Fürst kippte hintenüber, sein Kopf krachte mit einem dumpfen Schlag auf die Steinfliesen. Dann blieb er bewegungslos liegen, und Aeriel wusste, dass sie davonlaufen sollte, aber wie gelähmt starrte sie auf ihn herab. Sie fragte sich, ob sie ihn getötet hatte.
Vorsichtig trat sie näher und kniete neben ihm. Er atmete
kaum. Plötzlich hörte sie ein klirrendes Geräusch und erhielt einen Schlag auf den Hinterkopf. Benommen drehte sie sich um und sah einen der Schlossdiener mit einem Tablett in den Händen, mit dem er zu einem erneuten Schlag ausholte.
Neben sich spürte sie mehr, als dass sie sie sah, eine Bewegung, der Fürst sprang auf; seine Ohnmacht war nur vorgetäuscht gewesen. Mit einer Hand umklammerte er ihr Handgelenk, die Finger seiner anderen Hand schlossen sich um den Stab.
Aeriel wand und drehte sich und versuchte, sich zu befreien. Der Fürst zerrte mit aller Kraft an dem Stab und wollte ihn ihr entreißen. Verzweifelt hielt sie mit beiden Händen daran fest. Dann traf ein weiterer Schlag ihren Kopf. Die Terrasse kippte. Der Sonnenstern wurde dunkel.
Undeutlich hörte sie den Fürsten rufen: »Hör auf, Junge! Ich brauche sie lebend.«
Ihre Finger umklammerten noch immer den Stab; der Fürst zerrte wütend daran. Sie öffnete die Augen und holte keuchend Luft. Ihre Bewegungen waren schwerfällig. Ihr Mund schmeckte nach Kupfer.
»Vogel«, keuchte sie. »Reiher, wach auf!«
Sie stieß mit den Füßen nach dem Fürsten und spürte seine Rippen an ihren Fußsohlen. Sein Griff um ihr Handgelenk lockerte sich, aber die andere Hand umklammerte weiterhin eisern den Stab. Heftig zerrte und schüttelte sie den Stab.
»Flügel!«, schrie sie auf. »Flieg!«
Der Wanderstab erzitterte in ihren Händen. Das helle Holz seines geformten Knaufs schimmerte, verblasste und entfaltete seine Flügel. Aeriel hörte den Fürsten rufen, dann einen Schrei
und Gepolter, als der Diener das Tablett fallen ließ. Der Reiher flatterte hoch in die Luft.
»Was ist los?«, rief er, schwebte torkelnd umher. »Warum kannst du mich nicht bei meinem richtigen Namen rufen?«
»Erin und Roschka«, japste Aeriel. »Sag ihnen, sie sollen fliehen. «
Sie versuchte, auf die Füße zu kommen, aber ihre Knochen fühlten sich an wie Gummi. Immer wieder verlor sie das Gleichgewicht; der Himmel schwankte über ihr und drohte, auf sie herabzustürzen. Der Fürst hielt sie nun an beiden Handgelenken fest. Der Reiher stieß auf ihn herab. Dieser packte ihn an einem zerbrechlichen Bein. Der weiße Vogel schrie und pickte nach seinen Fingern.
»Flieg!«, sagte Aeriel. Aus ihren Muskeln schwanden die Kräfte. »Flieh«, flüsterte sie und legte eine Hand an ihren Kopf.
Ihre Beine gaben nach. Sie fiel zur Seite. Ihr Ellbogen prallte auf den Steinfliesen auf, dann ihre Schläfe und ihr Kinn. Sie hörte Geschrei, das Geräusch von Schritten auf den Steintreppen. Das waren keine Dienstboten. Soldaten. Abgehackte, peitschende Töne, schwirrendes Zischen: Bogensehnen, erkannte sie, fliegende Pfeile. Der Reiher hatte sich wohl befreit.
Der Stein der Terrasse hatte seine Härte verloren. Es war plötzlich sehr kalt, und sehr still. Ihre Wange schien einzusinken, langsam gab die Oberfläche sanft unter ihr nach. Ihre Haut schien sich aufzulösen, wie Wasser oder Staub. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr ganzer Körper im Stein versickern.
12
Gefangen
A eriel spürte die Kälte an ihrem Rücken. Sie öffnete die Augen und fand sich zusammengekauert in einem winzigen Verlies. Durch das vergitterte Fenster in der Steinmauer fiel Morgenlicht herein. Ein Wall aus Steinen erhob sich direkt vor ihr, ohne Tür, nur mit einem winzigen Spalt in halber Höhe, wo kein Ziegel eingefügt worden war. Die andere Mauer bestand aus einer Böschung aus Erde und Steinen: wohl ein Bergabhang, der größtenteils im Schatten lag.
Ihr Arm war an die Fenstermauer gekettet. Sie versuchte aufzustehen und fühlte sich ganz steif. Ihre Beine unterhalb der Knie prickelten. Sie streckte und rieb sie, dann ihren Arm. Sie fühlte sich schwindelig, und ihr war etwas übel. Sie spähte durch das Fenster und konnte am Stand der Sonne ablesen, dass mindestens zwölf Stunden seit dem
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