Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Strauchwerk überwachsen war, entdeckt hatte. Bei näherer Untersuchung war er auf einen Tunnel gestoßen, der sich tief in die Erde, unter den Teich hinabwand. Er und Erin hatten begonnen, ihn zu erforschen, um herauszufinden, wohin er führte.
Die Schatten wurden länger. Der Sonnenstern hing fünf Dutzend Stunden vor seinem Untergang am Himmel. Da kam der weiße Vogel zu Aeriel und erzählte ihr, dass Roschka und Erin erneut in die Höhle gegangen und noch nicht wieder aufgetaucht
seien. Aeriel fühlte einen Stich der Angst. Noch nie zuvor waren sie so lange fortgeblieben.
Ihre Angst nahm zu, als der Reiher wiederkam, etwa ein Dutzend Stunden später, und sagte, dass Erin und der Prinz noch immer in der Höhle seien. Aeriel verspürte wachsende Verzweiflung, als kurz vor Untergang des Sonnensterns der weiße Vogel ein drittes Mal erschien und nur stumm am Fenster saß. Sie hielt die beiden für verloren.
Nicht lange danach erschien der Fürst. Sie hörte, wie er seine Soldaten anbrüllte, weil sie sich beim Würfelspiel vergnügten, anstatt vor ihrem Verlies Wache zu halten. Seine Augen erschienen im Spalt.
»Ich bin gekommen, kleine Hexe, um dir Lebewohl zu sagen.«
Aeriel blickte hoch, hörte auf, an der Brotkruste herumzunagen, die ihr ein Wachposten gebracht hatte. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Der Fürst lächelte.
»Ich habe entschieden, dass du mir mehr Kummer bereitest, als es wert ist. Die Weiße Königin hat mir versprochen, mir meinen Namen zurückzugeben, wenn ich deine Gargoyles gefangen nehme …«
Aeriel fühlte, wie kalter Schweiß ihre Haut bedeckte. »Sie ist eine Lügnerin. Sie wird dir nie deinen Namen zurückgeben.«
»Du bist eine Hexe«, rief der Fürst. »Ich will keine Hexe zur Frau. Ich habe deinen Vogel am Fenster gesehen. Als er dich das letzte Mal besuchte, habe ich ihn beobachtet. Nun«, er lachte grimmig, »er wird dich nicht mehr finden.«
Aeriel wirbelte herum. Außerhalb des Fensters schwebte eine der Schlosswachen an einem Seil. Er griff in den Sack, der von
seinem Gürtel baumelte, und holte einen Ziegelstein heraus. Aeriel sah fassungslos zu, wie er mit einer Maurerkelle Mörtel auftrug, den Ziegel einpasste und nach einem weiteren griff.
»Du wirst mich töten«, japste sie. »Maure dieses Luftloch zu, und ich werde ersticken.«
»Das bekümmert mich nicht«, antwortete der Fürst. »Ich habe keine Verwendung mehr für dich.«
»Dann lass mich gehen«, rief sie.
Der Fürst lachte. »Das kann ich nicht. Die Herrin erlaubt es mir nicht.«
»Dann töte du mich, du Feigling!«, rief Aeriel.
»Ach, kleine Hexe«, entgegnete der Fürst, »das würde dir gefallen, nicht wahr, dass ich die Mauern einreißen lasse und dich angreife? Aber ich hatte bereits eine ausreichende Kostprobe von deinen magischen Kräften. Ich lasse mich auf keinen Kampf mehr mit dir ein.«
Draußen legte der Wachposten den letzten Ziegelstein ins Fenster. Die Zelle war plötzlich in Dunkelheit getaucht, nur durch den Spalt, hinter dem die Augen des Fürsten glitzerten, fiel noch ein schmaler Lichtstreif. Sie sah, wie er etwas in die Ritze schob. Schmal wie eine Messerklinge war nun der Lichtspalt. Aeriel schrie auf, sprang auf ihn zu. Jenseits der Mauer hörte sie sein Gelächter.
»Leb wohl, kleine Hexe«, sagte der Fürst und verschloss die Ritze mit einem Keil.
Aeriel stand im Dunkeln. Der Schrei erstarb in ihrer Kehle. Die Mauer war hermetisch abgedichtet. Verzweifelt tastete sie
darüber und fand den Keil in der Ritze. Sie drückte dagegen, versuchte, ihn zu lockern, aber er saß fest.
An der Mauer entlang tastete sie sich dorthin, wo das Fenster gewesen war. Die Luft wurde bereits muffig. Sie fühlte die Gitterstäbe, die neuen Ziegel dahinter. Der Mörtel zwischen den Steinen war weich. Sie kratzte daran mit ihren Fingernägeln und drückte gegen die Ziegel, aber sie waren wohl von außen verstrebt worden und gaben nicht nach.
Atemlos sank Aeriel zu Boden! Sie zitterte am ganzen Körper. Wie viel Zeit war verstrichen? Ihr Kopf drehte sich; ihre Brust umspannte ein enger Ring. Sie presste ihre Wange gegen den kühlen Stein der Mauer und starrte blind in die Dunkelheit.
Eine sehr lange Zeit später sah sie ein Licht. Es war winzig, sehr weit entfernt, obwohl es merkwürdigerweise klar vor der Mauer des winzigen Verlieses erglomm und es erhellte. Blassgelb wie eine Flamme bewegte es sich näher heran und wurde langsam größer. Dann schließlich stand es vor ihr, hoch und flackernd,
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