Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Kampf anzuschließen und mit den von mir gelehrten, magischen Fähigkeiten all jene unseres Volkes zu bekriegen, die sich zu unseren Feinden aufgeschwungen
hatten. Aber ich fand immer neue Ausreden. Ebenso wenig gestattete ich ihr, ohne mich zu ziehen. Immerhin hätte sie sowieso niemand gewollt: Ich war die Einzige, die in ihr ein menschliches Wesen sah. Schließlich gestand ich ihr ihre wahre Herkunft.«
Ravenna sprach nun leise und zögernd.
»Sie verlor schier den Verstand. Sie verfluchte mich und floh in die Wüste. Als die letzten Wagen abreisten, blieb ich zurück, jedoch ohne eine Spur von ihr zu finden. Letztlich zog ich den verzweifelten Schluss, dass sie den Tod gefunden haben musste.«
Vor ihrem inneren Auge sah Aeriel die Wagen der Gottgleichen auf Feuerschwingen in den schwarzen sternenbedeckten Himmel emporschießen. Ravennas Tochter schrie ihnen nach, während sie aus der Kristallstadt flüchtete. Ihre Mutter hielt besorgt Ausschau nach ihr und durchkämmte vergebens den Planeten. Aeriel hätte das dunkelhaarige Halbling-Mädchen beweinen mögen. Als die Alte weitersprach, klang ihre Stimme erschöpft.
»Die wenigen von uns, die auf dieser Welt zurückblieben, mussten einen Entschluss über unser weiteres Vorgehen treffen. Botschaften von unserem Heimatplaneten blieben aus. Unsere Appelle wurden mit Schweigen beantwortet. Einige drängten auf den Bau neuer Wagen, aber wir verfügten weder über die nötige Zeit noch die Mittel. Längst hatte der Untergang dieser Welt eingesetzt. Künstlich erzeugt, war sie nie zur Selbstversorgung angelegt gewesen. Eine Handvoll von uns, abgeschnitten von unserem Mutterplaneten, konnte sich niemals der trügerischen Hoffnung hingeben, unsere Tochterwelt wie bisher zu unterhalten. Wir entschieden, sie allmählich verfallen zu lassen
und abzuwarten, ob wir ein natürliches Gleichgewicht finden und die Welt retten könnten.«
Vor Aeriels innerem Auge entstand die Atmosphäre, die immer dünner wurde und im Weltenraum versickerte, ganze Pflanzen- und Tierarten, die dahinschieden, Menschen, die über Generationen hinweg ausgemergelter, kleiner, zäher wurden.
»Und unsere Bemühungen waren von Erfolg gekrönt«, sagte Ravenna, deren Stimme nun lebhafter wurde. »Im Laufe der Jahre züchteten wir neue Gewächse, die ohne unsere Pflege überlebten. Wir lehrten die Zwerge, die unterirdischen Maschinen zu bedienen, Wasser und Luft zu erzeugen. Nun, da die Atmosphäre ausgedünnt war, konnten wir nicht länger ohne Atemmasken außerhalb der Glaskuppeln verweilen. Nach und nach zogen wir uns von deinem Volk zurück und überließen euch eurem Schicksal.«
Die von der Perle in Aeriels Bewusstsein gewobene Landschaft nahm immer erkennbarere Formen an, und sie erkannte die Pflanzen, Tiere und Völker. Ravenna seufzte.
»Schließlich trat eine Art Stillstand ein, der Entropie war Einhalt geboten, zumindest glaubten wir das. Dann tauchte die Hexe auf und störte das labile Gleichgewicht, anfangs fast unmerklich: vergiftete Brunnen, zerstörte Dämme, verunreinigte Zisternen. Der Mangel an Wasser war stets unser wunder Punkt. Wir behoben die Schäden, so gut wir konnten. Doch schon bald wurde sie kühner, stellte ihr Können stolz zur Schau, ließ eine schreckliche Dürre keimen. Als sich unsere Reihen lichteten, riss sie jeden technischen Apparat an sich, den sie in die Finger bekam, und plünderte die verdunkelten Städte nach Werkzeugen. Im Laufe der Zeit erlernte sie unsere geheimsten Künste, mit
denen sie diese Welt zu verwüsten gedenkt, so wie mein Volk Oceanus verwüstet hat.«
Aeriel starrte ins Leere, die Bilder in ihrem Kopf nahmen verheerende Züge an.
»Und dennoch«, flüsterte die Gottgleiche, »ist sie noch immer meine Tochter.«
Aeriel saß schweigend da, ihr fehlten die Worte. »Was ist dort geschehen?«, wagte sie schließlich. »Auf Oceanus?«
Ravenna setzte erneut an. Ein Feuerwerk an Farben explodierte in Aeriels Gedanken. Erschrocken wich sie vor den Bildern zurück, die dort entstanden.
»Seuchen«, keuchte die Gottgleiche. »Waffen von unvorstellbarer Grausamkeit, entsetzliche Gräuel, die noch Jahrtausende nachwirken. Oceanus hat sich selbst zerstört. Das ist der Grund, weshalb ihn am Firmament ein solch kaltes und geisterhaftes Licht umgibt: Er glüht angesichts des Gifts, das nie abnimmt. Nichts hat dort überlebt. Das ist die einzige Welt, die verbleibt: das einzige Geburtsrecht meiner Tochter. Wenn Oriencor doch nur zuhörte! Wenn ich sie
Weitere Kostenlose Bücher