Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Schlammbeißers.
»Du nahmst an, alles läge unter der Wasseroberfläche, nicht wahr? So war es auch, vor vielen Jahren. Doch der Palast wuchert unkontrolliert, und sie kann ihm nicht länger Einhalt gebieten. «
Ein Auge schwenkte in ihre Richtung. Aeriel funkelte finster zurück. Als der Schlammbeißer sie an den Rand der Kristallfeste brachte, kletterte Aeriel erleichtert auf einen schmalen Absatz, wenige Handbreit über dem Wasserpegel. Zu ihrer Überraschung war der Vorsprung kalt, weit kälter als die Haut des Schlammbeißers. Spiegelglatt und so eisig, dass Aeriels Fußsohlen beinahe daran haften blieben. Erschrocken hüpfte sie von einem Bein aufs andere. Welcher Stein, welches Juwel war benutzt worden, um diese Feste zu errichten? Die Perle auf ihrer Stirn flammte auf, umhüllte sie mit wärmendem Licht.
»Nun, kleine Zauberin«, brummte der Schlammbeißer, »ich habe dich hergebracht. Und jetzt tritt ein, wenn du vermagst.«
Mit einem letzten tiefen Lachen sank das Geschöpf in die Tiefen des Toten Sees. Der Nachtschatten war weit fortgeschritten. Der Neigung der Sterne nach musste der Sonnenstern bald aufgehen. Aeriel hob die Füße, damit ihre Sohlen nicht am Stein festklebten. Ohne die Perle, erkannte sie, wäre die Kälte unerträglich. Den Blick auf die glatte, makellos weiße Mauer des Palastes gerichtet, wanderte Aeriel am Ufer entlang, auf der Suche nach einer Tür.
Sie wanderte, bis ihr fast die Sinne schwanden, mit steifem Hals, doch sie fand kein Fenster, keine Tür, keine Ritze oder Öffnung. Schließlich blieb sie stehen, ratlos und erschöpft. Verzweiflung nagte an ihr. Irgendwie musste sie sich Einlass verschaffen. Sie war nicht den ganzen langen Weg gekommen, um nun abgewiesen zu werden. Aeriel spürte ein sonderbares Kitzeln an ihrem Bewusstsein, ein leises, beinahe unverständliches Murmeln.
Leg die Hand auf den Stein, schien es zu flüstern. Aeriel war im nächsten Moment verunsichert, ob sie überhaupt etwas vernommen hatte. Dennoch legte sie eine Handfläche auf die eisige Oberfläche, behutsam, um unter keinen Umständen haften zu bleiben. Nichts geschah. Bittere Enttäuschung wallte in ihr auf. Sie drückte fester, ließ jegliche Vorsicht außer Acht und warf sich mit dem ganzen Gewicht gegen die Feste. Öffne dich, schrie sie stumm, verärgert. Lass mich ein!
Unvermittelt löste sich der Stein unter ihrer Hand auf. Aeriel taumelte stolpernd nach vorne. Als sie ihr Gleichgewicht wieder fand, schnellte sie herum und sah, dass sich die Mauer in einen prächtigen Torbogen verwandelt hatte. Das Perlenlicht fiel hellleuchtend auf das durchschimmernde weiße Kristallglas des Palastes. Erstaunt berührte Aeriel ein weiteres Mal das Juwel auf ihrer Stirn. Noch während sie sich umsah, schloss sich die Mauer geräuschlos und beraubte sie jeglichen Fluchtweges.
Sie stand in einem verlassenen Korridor. Sternenlicht sickerte durch die transparenten Wände. Trotz der wärmenden Perle zitterte Aeriel wie Espenlaub. Die beißende Kälte der Hexenfeste betäubte ihr die Glieder. Ihr Atem kam stoßweise, wirbelte in weißen Wolken empor wie geruchloser Rauch. Eine innere Stimme riet ihr, weiterzugehen. Obschon die Perle große Macht barg, stieß sie dennoch an ihre Grenzen. Aeriel durfte nicht rasten. Eilig marschierte sie den langen, leeren Gang hinab.
Die Wände waren geriffelt, wenn auch glatt, an einigen Stellen beinahe durchsichtig. Dann und wann überkam Aeriel das Gefühl, die äußere Mauer der Feste erreicht zu haben, und dahinter leuchtete der freie Himmel. Der Sonnensternaufgang
nahte, das wusste sie. Wenn sie sich leicht gegen die Wand lehnte, um auf die andere Seite des sich kräuselnden Glases zu spähen, beschlug das Kristall. Einmal strich sie beim Gehen aus Versehen darüber, und die trockene Eiseskälte haftete an ihr wie ein klebriges, lebendiges Wesen. Mit aller Gewalt riss sie ihren Arm weg.
Anfangs führte der Weg vorwiegend abwärts, so dass Aeriel nach einer Weile der festen Überzeugung war, sich unterhalb der Wasseroberfläche zu befinden. Hier waren die Steine durchschimmernder. Auf der anderen Seite der Mauer strömte das dunkle Wasser des Toten Sees träge dahin. Ein Schwarm beilförmiger Fische mit weit aufgerissenen Mäulern huschte vorbei. Etwas Langes, Graues schoss ihnen nach, machte dann jäh kehrt und schnappte mit messerscharfen Zähnen nach Aeriel. Erschrocken sprang sie zurück. Weit draußen zog etwas viel Größeres und Schwarzes seine Kreise: einer
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