Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
frohlocke?«
Aeriel sprang eines der Schmuckstücke, das auf Oriencors Gewand gestickt war, in die Augen: der mumifizierte Fuß eines sehr kleinen weißen Geschöpfes: eine Eidechse, ein Maulwurf? Die Hexe ballte eine ihrer dolchartigen Hände zur Faust. Ihre Finger waren durch Schwimmhäute verbunden, bemerkte Aeriel jäh. Kiemen saßen hinter ihren Ohren.
»Närrin! Sie hätte Unsterblichkeit erreichen können, wie ich, aber sie hat den Mut dazu nicht aufgebracht. Nun hat ihre Sterblichkeit endlich ihren Tribut gefordert, und die Welt ist mein.«
Sie sprach mit solch unbeirrter Autorität, dass Aeriels Hand zu dem Juwel an ihrer Stirn glitt. Sie wollte sich beruhigen, doch sie hielt inne, als die Lorelei ihren durchdringend grünen Blick auf die Perle heftete.
»Meine Mutter hat dir anscheinend ein Geschenk gemacht.«
Bei der Erkenntnis, die Perle bald aufgeben zu müssen, befiel Aeriel panische Angst. Sie trug Ravennas Juwel nun schon so lange, dass sie sich ein Leben ohne das Kleinod nicht mehr vorstellen konnte. Und dennoch, ermahnte sie sich streng, war die Perle nicht ihr Eigentum. Sie war für die Weltenerbin bestimmt. Doch der Gedanke an einen Abschied glich Todesqualen.
»Ein Segen«, brachte sie schließlich über die Lippen.
»Dem Anschein nach eine Kapsel mit einer Botschaft«, bemerkte die Hexe, als sei ihr Interesse nicht besonders lebhaft.
»Was könnte mir meine Mutter nach all den Jahren wohl zu sagen haben?«
Aeriel schüttelte den Kopf. Wie sollte sie es erklären? Wo beginnen? Ihre Zunge fühlte sich dick und sonderbar in ihrem Mund an. Ihre Hand war immer noch an der Perle, sie mühte sich ab: »Ravenna bat mich, sie dir zu überbringen.«
Oriencor zuckte mit den Schultern. »Wie reizend! Doch du solltest sie noch eine Weile behalten, kleine Zauberin, auf dass dich die Kälte nicht zu schnell dahinrafft. Nach der Schlacht bleibt genügend Zeit, den letzten Atemzug meiner sterbenden Mutter auszukosten.« Ein wölfisches Lächeln umspielte ihre Lippen. »Nachdem ich deine Truppen abgeschlachtet und ihre Seelen verschlungen habe.«
Aeriels Knie wurden weich. Die Stimme der anderen war gleichzeitig lieblich und grässlich, eine Verlockung, der kaum zu widerstehen war. Aeriel spürte, dass ihr der Moment, der Hexe zu trotzen und sie zu überreden, entschlüpfte. Sie atmete tief ein, um einen letzten verzweifelten Versuch zu unternehmen, doch eine leise innere Stimme fuhr dazwischen. Nicht , murmelte die Stimme, die bereits wieder verklang. Jetzt ist nicht der rechte Augenblick. Noch nicht, aber bald.
»Komm«, sagte die Lorelei. »Schau die Schlacht mit mir gemeinsam an. Sie wird bald beginnen.«
Oriencor winkte Aeriel ans Fenster. Im strahlenden Sonnenlicht tropfte Wasser am Fensterbrett hinab.
»Sieh sie dir dort unten an!«, murmelte die Hexe. »Deine Streitkräfte und meine. Alle versammelt. Alle fein säuberlich aufgereiht. Der Sieg ist natürlich mein. Welchen Genuss es mir
bereiten wird, diesem Schauspiel beizuwohnen. Es gibt heutzutage nicht viele Freuden in meinem Leben. Lass es uns zusammen ansehen.«
Aeriel erblickte die Armeen am Strand tief unten. Das kleine Gemach, in dem sie und Oriencor sich befanden, war wahrlich in schwindelerregender Höhe. Die Hexenbrut hatte sich am Ufer versammelt: Schakale und Wieselhunde und Schwarze Vögel; riesige, buckelige Kreaturen von menschenähnlicher Gestalt; und dünne, geisterhafte Schemen – so viele, Aeriel vermochte sie nicht zu zählen. Im schwarzen Wasser des Toten Sees hinter ihnen drängte sich weiteres Höllengezücht. Aeriel erspähte den Schlammbeißer, der in der Nähe des Ufers schwamm, und im tieferen Gewässer umkreisten die beiden riesigen Wasserdrachen der Hexe den Palast.
Syllvas Armee stand mit dem Gesicht zum Toten See und schwärmte in einem Halbkreis aus. Bei ihrem Anblick fasste Aeriel neuen Mut, nur um jäh zu erschaudern, als sie bemerkte, wie erbärmlich klein ihre Anzahl im Vergleich zur gewaltigen Horde der Hexe war. Über den verbündeten Streitkräften wehte flatternd eine lange gelbe Fahne im Wind. Die Königin stand an vorderster Front, umgeben von ihren Bogenschützinnen. Irrylath ritt zu ihr, er thronte auf dem geflügelten Avarclon. Marelon, die Geschmeidige Schlange des Staubmeeres, züngelte riesig und zinnoberrot über den Strand, wobei sich ihr beträchtlicher Schwanz in der Menschenmenge verlor. Erin hielt sich im Hintergrund, der Löwe Pendarlon schritt neben ihr. Das dunkelhäutige Mädchen
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