Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
wieder ein. Die grässlichen Tiere, die sich um Aeriel scharten, waren von wachsender Ungeduld erfüllt. Einige von ihnen stürmten voraus, drehten sich um und zischten Aeriel an. Verborgene Schakale sangen säuselnd im Wind. In der Gewissheit, dass es kein Zurück gab, sobald sie einmal einen Fuß hineingesetzt hatte, betrat Aeriel das Labyrinth.
Wie lange sie gewandert war, vermochte sie nicht zu sagen. Nur ein schmaler Himmelsreif war über ihrem Kopf zu stehen. Ohne einen Horizont konnte sie die Bewegung der Sterne nicht messen. Die Perle bestimmte den Weg, entlarvte Sackgassen und offenbarte trügerische Wände, die allein dem Zweck dienten, den Reisenden zu verwirren und den richtigen Pfad zu verbergen. Ein unerwartetes Verlustgefühl überwältigte Aeriel, als sie feststellte, dass sie die Armee nicht länger erspürte. Die verzweigten, sich windenden Schluchten schienen die Verbindung der Perle mit dem Schwert des dunkelhäutigen Mädchens abreißen zu lassen.
Dann fielen die Steinwände zu beiden Seiten steil ab, und endlich war Aeriel dem Labyrinth entkommen. Die Schakale hinter ihr heulten und jaulten. Die Geschöpfe, die um ihre Knöchel huschten, zischten aufgeregt. Vor ihr erstreckte sich ein riesiger, flacher Landstrich: pechschwarz, glatt wie ein Ölfilm,
ohne jegliches Spiegelbild: der Tote See der Hexe. Dies also war der Ort, an den sich Königin Syllvas Karawane vor so vielen Jahren verirrt hatte, wo der junge Prinz Irrylath von seiner Amme an den Rand des Gewässers gelockt und der Hexe überantwortet worden war.
Schaudernd bahnte sich Aeriel einen Weg durch die Knochen, die das Ufer übersäten. In weiter Ferne erblickte sie einen weißen Turm, der sich aus dem schwarzen Gewässer erhob: der Palast der Hexe? Zweifellos, obwohl Aeriel stets angenommen hatte, dass die gesamte Feste unter der Oberfläche des Sees verborgen lag. Sie schüttelte den Kopf und fragte sich verwundert, wie sie den Palast erreichen sollte. Das vergiftete Wasser wagte sie nicht zu berühren.
Doch auf einmal kochte und brodelte der See zu ihren Füßen. Erschrocken wich Aeriel zurück. Die Kreaturen der Hexe huschten nervös umher. Etwas unter der Wasseroberfläche erhob sich schwerfällig. Einen Moment später tauchte der riesige, mit warzigen Höckern bedeckte Kopf einer Kröte auf. Ihre Haut war von einem hellen Lavendel, beinahe durchschimmernd. Aeriel hätte sie nicht mit den Armen umfassen können, selbst wenn sie es gewagt hätte, so groß war das Tier. Es sah sie mit seinen riesigen, hervorquellenden Augen an. Seine fahle Zunge, ein kleines ausgefranstes Fähnchen, fuhr genüsslich über seine runzeligen Mundwinkel. Das stille schwarze Gewässer verwehrte den Blick auf den Körper des Ungeheuers.
»Wie schön«, sagte es. Seine Stimme dröhnte wie ein Jagdhorn. »Eine weitere Reisende ist erschienen, um am Ufer meiner Herrin den Tod zu finden.«
Aeriel starrte das Geschöpf überrascht an, erkannte erst jetzt seine wahre Identität: Um Jahre gealtert und an Leibesumfang stark zugenommen, war es dasselbe, das damals die Amme des Prinzen auf die dunkle Seite der Hexe gelockt und ihr geholfen hatte, ihn zu verraten. Ihre Abscheu niederkämpfend, rief Aeriel:
»Eine Reisende, Schlammbeißer, aber keine, die hier sterben wird. Ich muss deine Herrin sprechen und also den See überqueren. «
Der Schlammbeißer kniff eines seiner eiskalten Augen zu.
»Wie mag es sein, dass du mich sehen kannst, ohne vom Toten See gekostet zu haben?«, grollte er. Aeriel berührte die Perle auf ihrer Stirn. Beunruhigt rutschte der Schlammbeißer hin und her, sank tiefer in das schwarze Gewässer, um die blassen Augen vor dem kühlen, strahlenden Licht zu schützen. »Du musst die Zauberin sein, die meiner Herrin in letzter Zeit so große Unbill bereitete.«
Aeriel nickte. »Bringst du mich zu ihr?«
Der Schlammbeißer rülpste. »Meine Herrin, die Weiße Königin, empfängt niemanden.«
Aeriel war fassungslos. Eine derart rasche und endgültige Absage hatte sie nicht erwartet. Entschlossen verschränkte sie die Arme.
»Na gut«, erwiderte sie. »Ich werde sie nicht sehen, obschon ich eine weite Reise auf mich nahm. Meine Botschaft von ihrer Mutter, der Alten Ravenna, wird sie nicht erreichen. Deine Herrin wird hocherfreut sein, dass du mich abgewiesen hast.«
Aeriel machte auf dem Absatz kehrt und eilte in Richtung der
Schakalklippen. Die scharrenden Geschöpfe vor ihr stoben auseinander. Sie war drei Schritt gegangen, bevor
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