Gefangene des Feuers
unfähig aufzustehen oder überhaupt Interesse dafür aufzubringen. Sie hörte, wie er den Pferden etwas zumurmelte, obwohl seine Stimme über das laute Rauschen der Bäume im Wind nur schwer auszumachen war. Dann hörte sie, dass seine Schritte sich wieder näherten. Obwohl sie selbst in einem jämmerlichen Zustand war, entging ihr nicht, dass sein Gang unsicher war. Direkt hinter ihr blieb er stehen.
„Ich kann Ihnen nicht helfen“, sagte er barsch. „Wenn Sie nicht stehen können, müssen Sie eben zu diesen Felsen hier kriechen. Ich kann nichts anderes tun als uns vor dem Wind schützen und eine Decke über uns legen.“
„Kein Feuer?“, stieß sie atemlos aus. Sie klang so jämmerlich, dass es einer weniger harten Seele ins Herz geschnitten hätte. Schon den ganzen Tag, während all der langen, entsetzlichen Stunden hatte sie sich nach Feuer und Licht gesehnt wie nach einem Geliebten, und jetzt verweigerte er es ihr.
„Nein. Kommen Sie, Doc, schieben Sie Ihren Hintern zu den Felsen rüber!“
Sie schaffte es, wenn auch nicht auf sehr elegante oder anmutige Weise. Sie kroch ein kleines Stück, dann ging sie auf die Knie und schließlich stellte sie sich auf die Füße. Nach ein paar unsicheren Schritten gaben die Beine unter ihr wieder nach, und sie biss die Zähne zusammen, um den Schmerz in ihren Füßen ertragen zu können. Sie schaffte es sogar weiterzugehen. Vorsichtig ging er neben ihr her und erinnerte sie daran, dass er selbst auch kaum noch Kraft besaß. Sie war froh, dass er dieses Martyrium unverletzt überstanden hatte.
„Gut so! Jetzt schieben Sie einen großen Haufen Kiefernnadeln zusammen.“
Sie schwankte vor und zurück, während sie ihn anstarrte, konnte jedoch nichts als eine große dunkle Gestalt neben sich erkennen. Aber sie ließ sich auf die Knie fallen und kam unbeholfen seiner Aufforderung nach. Jetzt war sie froh darum, dass ihre Finger von der Kälte taub waren und sie deshalb die stechenden Nadeln nicht spürte.
„Das reicht.“ Ein weiches Bündel fiel neben ihr auf den Boden. „Jetzt breiten Sie die Decke über die Nadeln."
Auch diesmal gehorchte sie ohne ein Wort.
„Ziehen Sie Ihren Mantel aus und legen Sie sich hin.“ Allein bei dem Gedanken, sich der eisigen Kälte noch stärker auszusetzen, stieg Protest in ihr auf. Doch schließlich siegte ihr gesunder Menschenverstand. Die Mäntel waren wohl als Schutz für sie beide gedacht. Sie zitterte heftig, als sie den schweren Stoff auszog, doch er tat das Gleiche, und daher legte sie sich schweigend auf den Boden.
Er ließ sich so neben ihr nieder, dass sie an seiner rechten Seite ruhte. Als seine langen Beine sie berührten, machte Annie Anstalten, von ihm abzurücken, aber er hielt sie zurück. Sein Griff an ihrem Arm war so fest, dass sie sich fragte, ob er wirklich so erschöpft war, wie es den Anschein hatte. „Kommen Sie näher! Wir müssen unsere Wärme teilen und die Decken.“
Es war nichts als die ungeschminkte Wahrheit. Sie rutschte wieder zu ihm, bis sie selbst durch seine ausgekühlte Kleidung die Wärme seines Körpers spürte. Die verlockende Versprechung von behaglicher Wärme ließ sie noch näher rücken, bis sie an seine Seite geschmiegt dalag.
Mit einer vorsichtigen Bewegung, die auf seine Schmerzen hindeutete, schlug er die andere Hälfte der Decke, auf der sie lagen, über sie beide, ehe er eine zweite Decke darüberbreitete. Annies Mantel legte er dann über ihrer beider Füße, seinen über ihre Oberkörper. Schließlich sank er zurück und schob seinen rechten Arm unter ihren Kopf. Ein heftiges Zittern schüttelte seinen ganzen Körper von Kopf bis Fuß durch.
Die Hitze des Fiebers drang durch all die Schichten aus Stoff. Während sie noch näher rückte, fragte sie sich, ob er diese Nacht auf dem kalten Boden überleben würde. Sicher, die Kiefernnadeln und die Decke hielten ein wenig von der Kälte ab, doch in seinem geschwächten Zustand würde er vielleicht trotzdem sterben. Ihre Hand ging zu seiner Brust und dann weiter hoch zu seinem Hals, wo sie nach seinem Puls tastete. Erleichtert stellte sie fest, wie stark er unter ihren kalten Fingern schlug, wenn auch zu schnell.
„Ich werde Ihnen schon nicht unter den Händen wegsterben, Doc.“ In seiner erschöpften Stimme klang unmissverständlich ein wenig Belustigung mit.
Annie wollte etwas erwidern, doch selbst das war zu anstrengend. Sie konnte die Augen nicht mehr offen halten, ihre Füße kribbelten vor Schmerz, aber das schien
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