Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
zwanzig Minuten gewesen war, hielt sie es kaum für möglich, dass das da vor ihr derselbe Mensch war.
Um ruhiger zu werden, holte sie wieder tief Luft. Selbstsicherheit vortäuschen, befahl sie sich. Sie straffte die Schultern.
Als Jack sie als seine neue Assistentin vorstellte, hielt sie eine Sekunde den Atem an und wartete darauf, dass einer der Männer aufspringen und „Betrug!“ schreien würde, doch nichts passierte, und das Shooting nahm seinen Anfang.
Wie schon bei der Sitzung mit Brianna war Jack auch heute wieder hundertprozentig bei seiner Arbeit. Nichts entging seiner Aufmerksamkeit, nichts störte seine Konzentration. Es war ein Genuss, ihn zu beobachten, und mehrere Male hielt Becky Lynn vor Ehrfurcht den Atem an.
Doch bald hatte sie keine Zeit mehr für Ehr furcht. Jacks Anweisungen kamen Schlag auf Schlag, und sie musste reagieren. Schnell reagieren.
„Die Jacke bei dem Model rechts schlägt Falten … der Ärmel bei dem Mädchen links ist leicht verdreht … die rechte Lampe muss einen Millimeter weiter nach unten … den Rückstrahler hinten etwas zur Seite drehen … ja, so ist’s gut … jetzt den Belichtungsmesser, bitte – auf dem Teewagen …“
Als sie ihre Aufmerksamkeit für einen Moment von Jack abzog und auf die Models richtete, wurde sie von neuem von einer Welle von Ehrfurcht fast hinweggespült. Die Frauen versetzten Becky Lynn in allergrößtes Erstaunen. Sie wussten genau, was Jack von ihnen erwartete.
Während Becky Lynn sie beobachtete, spürte sie Neid in sich aufsteigen. Sie beneidete sie nicht um ihre Schönheit – obwohl sie zweifelsfrei sehr schön waren –, sondern um ihre Selbstsicherheit und um die Selbstverständlichkeit, mit der sie mit ihrem Körper umgingen. Es war ihr unmöglich, sich vorzustellen, wie man sich dabei wohl fühlte; sie wusste nur, dass sie das niemals könnte.
Die größte Herausforderung kam auf sie zu, als sie zum ersten Mal einen neuen Film einlegen musste. Ihre Hände zitterten so sehr, dass ihr die Kamera beinahe entglitten wäre. Doch schließlich, nach dem dritten Versuch, hatte sie es geschafft – gerade noch rechtzeitig, da Jack seinen Film bereits wieder verschossen hatte. Als sie ihm den Fotoapparat reichte, zwinkerte er ihr verschwörerisch zu, und ihr Herz machte vor Freude einen Satz.
Und plötzlich begann sie sich wie eine Zirkusartistin bei einem Drahtseilakt in schwindelerregender Höhe zu fühlen. Sie vergaß, dass sie Nerven hatte. Sie vergaß, dass sie nichts über Fotografie wusste und einfach nur Jacks Anweisungen folgte. Sie fühlte sich vollkommen sicher, so sicher wie noch nie in ihrem Leben. Sie konnte sogar über irgendeinen blöden Witz lachen, den der Artdirector von Tyler Creative erzählte, und nahm Dinge in Angriff, noch bevor sie von Jack dazu aufgefordert worden war.
Es war verrückt – fast so, als könnte sie seine Gedanken lesen. Als sie einmal seinen Blick auffing, erkannte sie, dass er dasselbe dachte wie sie. Sie spürte, wie sehr sie ihn in Erstaunen versetzte. Und wie zufrieden er war.
Die Zeit flog dahin. Die Sitzung schien noch gar nicht richtig anfangen zu haben, da war sie auch schon zu Ende. Becky Lynn konnte es kaum fassen, dass sie das Shooting ohne einen einzigen Patzer hinter sich gebracht hatte. Am liebsten hätte sie ihre Freude laut hinausgeschrien.
Um ihr Glück mit ihm zu teilen und sein Lob entgegenzunehmen, schaute sie sich nach Jack um. Ihr Lächeln erstarb. Er stand mit den Models zusammen, dankte ihnen mit Umarmungen und Küssen und gratulierte ihnen zu ihrer guten Arbeit.
Sofort drehte sie sich wieder um. Plötzlich kam sie sich dumm vor. Unsicher, wie sich eine richtige Fotoassistentin jetzt an ihrer Stelle verhalten hätte, sah sie sich nach einer Beschäftigung um. Sie schaltete die Scheinwerfer aus, hängte die Kleider, die die Models getragen hatten, auf, rollte die Kabel zusammen und ordnete das Equipment auf dem Teewagen.
Sallie trat zu ihr und berührte sie leicht an der Schulter. „Das haben Sie wirklich großartig gemacht, Becky Lynn. Ich möchte mich im Namen von Jack ganz herzlich bei Ihnen bedanken.“
Sallies Dank freute sie, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass Jacks Mutter versuchte, etwas gutzumachen, das ihr Sohn verabsäumt hatte. „Gehen Sie schon?“ erkundigte sie sich.
„Ja, ich muss zurück in den Shop. Ich habe um vier einen Termin.“
„Ach, können Sie mich vielleicht mitnehmen?“
„Nein.“ Sallie schüttelte lächelnd den
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