Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
der Flasche, dann schaute er sie wieder an. „Weshalb denn dann?“
Sie musterte ihn einen Moment in Gedanken versunken, dann wanderte ihr Blick wieder die Straße hinunter. Es dauerte einige Zeit, ehe sie antwortete. „Ach, wahrscheinlich, weil ich daheim ein paar Leute gekannt habe, die trinken. Ich will nicht so werden wie sie.“
Er schwieg eine Weile. Als sie ihren Blick wieder auf ihn richtete, bemerkte sie, dass er sie nachdenklich anschaute. „Was ist denn?“ fragte sie. Ihre Stimme klang plötzlich belegt.
„Ach, ich habe mir nur gerade vorzustellen versucht … wie ist es denn da, wo du herkommst?“
Sie dachte an das Haus, in dem sie aufgewachsen war, an ihren Vater, den Whiskeydunst und die Atmosphäre der Angst, die er um sich verbreitete; sie dachte an Tommys und Rickys Lachen, während sie ihr die Papiertüte über den Kopf gestülpt hatten.
„Widerlich“, murmelte sie und hatte plötzlich das Gefühl, an ihren Erinnerungen ersticken zu müssen. „Widerlicher, als du dir wahrscheinlich jemals vorstellen kannst.“
„Ich verstehe nicht …“
Abrupt stand sie auf. „Ich glaube, ich geh jetzt besser mal. Danke für …“
Er griff nach ihrer Hand, legte den Kopf in den Nacken und sah zu ihr auf. „Ich nehme meine Frage zurück. Bitte geh noch nicht.“
Sie zögerte kurz, dann setzte sie sich wieder. Anschließend schauten sie beide schweigend auf die Straße, wobei er mit den Fingern auf seiner Bierflasche herumtrommelte.
Schließlich erhob er sich und ging unruhig auf der Veranda auf und ab. Jetzt verstand sie, was er mit dem Energieüberschuss gemeint hatte.
„Ist wirklich alles ganz super gelaufen heute“, sagte er schließlich, blieb stehen und schaute auf sie hinunter. „Ich habe das Gefühl, die Bilder werden fantastisch.“ Er prostete ihr mit der Flasche zu. „Ich schulde dir eine Menge.“
Sie schüttelte den Kopf. „Ach, Quatsch. Du wärst auch ohne mich bestens zurechtgekommen.“
Seine Mundwinkel zuckten. „Stimmt. Trotzdem war heute ein sehr wichtiger Tag. Ich bin auf der Leiter mindestens eine Stufe nach oben gefallen.“
„Was meinst du denn damit?“
Er nahm seine Wanderung wieder auf. „Ich habe nicht die Absicht, mein ganzes Leben lang irgendwelche popligen Einzelhandelskataloge zu fotografieren. Ich will ein richtiger Modefotograf werden, einer, der die Kollektionen der größten Designer fotografiert. Und vor allem will ich für Modezeitschriften arbeiten.“ Er blieb stehen und schaute sie an. „Ich will in die Vogue. “
Das konnte sie gut verstehen. Weil sie, seltsamerweise, auch in die Vogue wollte. Sie wusste zwar nicht, wie, aber sie wusste, das s sie es wollte. Dass sie es schon immmer gewollt hatte. „Du wirst es schaffen, Jack“, sagte sie warm. „Ich weiß, dass du es schaffen wirst. Talentiert genug bist du auf jeden Fall.“
Er schaute ihr tief in die Augen. Dann lächelte er. Ihr stockte der Atem. Einen Moment lang hatte sie das Gefühl, die einzige Frau auf der ganzen Welt zu sein.
„Ich wollte schon immer Modefotograf werden“, fuhr er nun fort. In seinen Tonfall hatte sich ein stählerner Unterton eingeschlichen. „Es ist das Einzige, was ich mir jemals wirklich gewünscht habe.“
Sie legte ihre Hände um die Coladose. Die Seite, die Jack jetzt von sich zeigte, war ihr neu. Diese harte Entschlossenheit, die er plötzlich an den Tag legte, jagte ihr fast ein wenig Angst ein. „Du hast so viel Talent, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie du jemals etwas anderes hättest werden sollen.“
Als er jetzt lachend den Kopf schüttelte, war es fast so, als würde er sich über sich selbst lustig machen. „Na ja, besonders viele Wahlmöglichkeiten hatte ich eigentlich nicht, um die Wahrheit zu sagen. Sallie hat ‚The Image Shop‘ erst vor ein paar Jahren eröffnet. Vorher hat sie als Maskenbildnerin für Modefotografen gearbeitet. Und ich war immer dabei, bei jedem Shooting, bei jeder Modenschau. Ich habe diese Welt quasi mit der Muttermilch eingesogen. Fotografieren und Mode liegen mir im Blut.“
Gedankenverloren fuhr er mit der Spitze seines Zeigefingers über den Flaschenrand. „Meine Mutter ist mit mir um die halbe Welt gereist. Bereits im Alter von sechs Monaten war ich bei Valentinos Modenschau in Rom dabei. Ich war schon fast überall – in Afrika und Indien, London, Paris und Mailand. Alles, was du dir vorstellen kannst. Im Grunde genommen kenne ich überhaupt keine andere Welt als die Modewelt.“
Sie
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