Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
nicht ständig dokumentieren, dass er so gut war wie Giovanni oder Carlo oder sonst wer.
Wenn er mit Becky Lynn zusammen war, verloren die Gespenster, die ihn sonst fest im Griff hatten, ihre Macht über ihn.
Er könnte mit ihr zusammenarbeiten. Er würde sogar rasend gern mit ihr zusammenarbeiten.
Aber wäre sie dem überhaupt gewachsen? Würde sich aus ihr eine gute Kameraassistenin machen lassen? In Gedanken versunken, verengte er die Augen. Fotoassistentinnen mussten stresserprobt und in der Lage sein, im größten Chaos einen kühlen Kopf zu bewahren.
Es war kein leichter Job. Und die Bezahlung war mies.
Doch wenn man seine Arbeit liebte, machte das alles andere wieder wett.
Und Becky Lynn würde diese Arbeit lieben. Das spürte Jack, ohne mit ihr darüber gesprochen zu haben. Sie war ein Naturtalent, hatte ein gutes Auge und künstlerisches Gespür.
Allerdings war sie blutjung. Es mangelte ihr an Erfahrung.
Er ging wieder hinaus und schaute zum Himmel empor. Er war noch immer klar und blau. Technik war erlernbar. Wohingegen man ein gutes Auge entweder hatte, oder man hatte es nicht. Und auch wenn sie an Jahren noch sehr jung war, wurde er doch das Gefühl nicht los, dass sie schon mehr durchgemacht hatte als manch andere Menschen in ihrem ganzen Leben.
Die Frage war nur, ob sie die nötigen Nerven und die erforderliche Zähigkeit für diesen Beruf besaß. Hatte sie das, was für diesen Job unerlässlich war? Nachdenklich zog er die Augenbrauen zusammen. Sie hatte Angst vor ihm, wenn sie mit ihm allein war. Und konnte körperliche Nähe nicht ertragen. Darüber musste sie hinwegkommen.
War sie dazu in der Lage? In Gedanken versunken ließ er sich auf dem Treppenabsatz nieder. Gab es eine Möglichkeit, das herauszubekommen?
Richard Avedon war diese Woche in der Stadt. Für Mittwoch stand ein Fotoshooting für Vogue auf seinem Terminplan, wie er, Jack, von Sallie erfahren hatte. Er könnte Becky Lynn vorschlagen, mit ihm gemeinsam hinzugehen. Es würde ihm eine weitere Gelegenheit bieten, das Potenzial, das in ihr steckte, einzuschätzen. Ebenso wie ihre Fähigkeit, ihn zu ertragen.
Ja, er würde sie fragen. Zufrieden mit seinem Plan setzte er die Flasche an seine Lippen und nahm einen weiteren Schluck. Als Erstes musste er mit Sallie wegen des Mittwochs sprechen. Schließlich war Becky Lynn ihre Angestellte, und er konnte nicht einfach nach Lust und Laune über sie verfügen. Was Becky Lynn anging, so war er überzeugt davon, dass sie sich die Gelegenheit, einem Vogue -Shooting beizuwohnen, bestimmt nicht entgehen lassen würde.
Und gesetzt den Fall, sie gäbe ihm einen Korb, wäre die Angelegenheit ohnehin klar. Dann hatte er sich eben geirrt.
21. KAPITEL
Becky Lynn lehnte Jacks Vorschlag nicht ab. Sie war sehr überrascht, und obwohl sie sich Gedanken machte über seine Beweggründe, fegte sie alle Bedenken beiseite und sagte zu. Noch nie in ihrem Leben war sie so aufgeregt gewesen. Sie würde zu einem Vogue- Shooting gehen und Gelegenheit haben, dem großen Avedon bei der Arbeit zuzusehen. Selbst in ihren wildesten Tagträumen hätte sie sich das nicht auszumalen gewagt. Sie konnte ihr Glück kaum fassen.
Als sie Jack nach dem Grund seiner Einladung fragte, hatte er ihr erwidert, dass sie es als Dank für ihre geleistete Arbeit ansehen solle.
Das Shooting fand im Spielzeugmuseum statt. Als Jack und Becky Lynn ankamen, herrschte auf dem Set bereits emsige Betriebsamkeit. Die Maskenbildner und Haarstylisten waren schon lange bei der Arbeit; Sallie hatte kaum Zeit für ein kurzes Nicken in ihre Richtung. Richard Avedon war ein zierlicher, drahtiger Mann mit großen, wachen Augen und einer schier unerschöpflichen Energie. Er schien überall gleichzeitig zu sein, seine Fotoassistenten immer im Schlepptau.
Becky Lynn hätte sich ein solches Durcheinander niemals träumen lassen. Die Fotos in den Modezeitschriften wirkten immer so ruhig und kontrolliert, dass sie Mühe hatte, die Bedingungen, unter denen sie entstanden waren, und das Ergebnis unter einen Hut zu bringen. Auf dem Set war der Teufel los, Wutausbrüche, obzöne Flüche, Lachanfälle und albernes Gekicher, hysterische Schreie – es gab nichts, was es nicht gab.
„Es ist so ganz anders als das Shooting bei dir“, murmelte Becky Lynn überwältigt und hatte Mühe, ihren Blick von der bunten Szenerie loszureißen und Jack anzusehen, während sie mit ihm sprach.
Jack blieb immer an ihrer Seite, obwohl er fast alle hier Anwesenden zu
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