Gefangene Seele
das ist es nicht.” Erst dann sah er Luke direkt an. “Du siehst schlimm aus.”
Luke grinste. “Danke, Sam.”
Sam fing schließlich an, leise zu lachen. “Okay, okay. Es tut mir leid. Ich habe einfach noch nie den begehrtesten Junggesellen von St. Louis in solch … legerer Kleidung gesehen.”
“Ich komme gerade zurück, ich war fünf Tage lang auf der Jagd nach den bösen Buben.”
“Und, hast du sie gekriegt?”
Luke nickte.
“Gut, dann bist du mein Mann. Ich stelle dich ein.”
Luke machte große Augen. “Das ist dein Ernst, nicht wahr?”
“Es ist mir ernster, als du denkst. Komm mal mit”, sagte Sam und ging in die Bibliothek voraus. Sobald er in dem Zimmer stand, schaltete er das Licht ein und deutete auf das Bild, das er den Abend zuvor aufgehängt hatte.
“He, und was ist mit dem Wyeth?”, fragte Luke. “Ist er gestohlen worden?”
“Nein, bis auf Weiteres habe ich ihn weggetan.”
“Und was ist mit dem Bild hier? Das ist gut. Um präzise zu sein: Das ist wirklich gut. Wer ist der Maler?”
“Ich weiß es nicht, aber ich brauche dich, um genau das herauszufinden.”
“Warum?”
Sam holte tief Luft und drehte sich dann zum Bild um. “Weil das ein Porträt von meiner Frau Margaret ist. Sie ist seit mehr als zwanzig Jahren vermisst, und das hier ist das erste Zeichen, dass ich seitdem von ihr habe.”
Luke war sprachlos. Sam hatte ihm von ihrem Verschwinden erzählt und wie sehr es Sam aus der Bahn geworfen hatte. Mehr als einmal hatte er Sam dabei zugehört, wie er von seinem kleinen Mädchen geschwärmt hatte, und davon, wie sehr ihm Jade am Herzen lag, wie sehr er sie vermisste. Aber von seiner Frau hatte Sam bisher wenig erzählt. Jetzt, da er Sams Gesichtsausdruck sah, ahnte er, dass es für seinen Freund einfach zu schmerzhaft gewesen war, sich an seine Frau zu erinnern.
“Woher hast du das Bild?”, fragte Luke.
“Paul und Shelly haben es mir aus San Francisco mitgebracht. Shelly hat es letzte Woche dort auf einem Straßenmarkt gekauft.”
“Mein Gott … wie unwahrscheinlich ist denn solch ein Zufall?”, murmelte Luke. Dann lehnte er sich vor, um die Signatur auf dem Bild zu entziffern. Aber er sah nichts als einen schwachen Fingerabdruck, der in roter Farbe auf dem Gras gedruckt war, neben den nackten Füßen der Frau.
“Es hat keine Signatur”, stellte er fest.
“Ja, ich weiß. Leider. Shelly hat die Malerin nicht nach ihrem Namen gefragt, als sie es kaufte. Deshalb kommst du jetzt ins Spiel. Wirst du mir helfen?”
“Ja, natürlich”, stimmte Luke sofort zu. “Ich muss erst mit Paul und Shelly reden, bevor ich etwas unternehme. Vielleicht erinnern sie sich an Einzelheiten.”
Sam zögerte, dann schob er seine Hände in die Hosentaschen und ging hinüber zum Fenster.
Luke runzelte die Stirn und folgte seinem Freund.
“Gibt es etwas, das du mir verschweigst?”
Sam ließ die Schultern sinken. “Shelly erzählte, dass die Malerin Margaret als Ivy kennengelernt habe. Außerdem sagte sie, Margaret sei tot.”
Luke zuckte zusammen. Ihm schwante, was diese Nachricht für Sam bedeutete.
“Glaubst du ihr?”, fragte er.
Sam zuckte mit den Schultern. “Himmel, Luke. Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Aber ich muss die Wahrheit erfahren oder jedenfalls so viel, wie du herausfinden kannst. Auch wenn es stimmt, dass … Margaret gestorben ist … vielleicht führt wenigstens eine Spur zu Jade.” Seine Stimme wurde weicher, als er fortfuhr. Und fast war es so, als spräche er zu sich selbst, nicht mehr zu Luke. “In all diesen Jahren habe ich es hinbekommen, mir einzureden, dass die beiden noch am Leben sind, auch wenn sie es nicht mehr mit mir teilen. Dass sie dieselbe Luft wie ich atmen, morgens mit mir zugleich aufstehen, wenn die Sonne am Himmel steht und wieder ins Bett gehen, wenn der Mond scheint. Sie können nicht beide tot sein. Das kann nicht sein.”
Luke legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter und drückte sie. “Ich werde mein Bestes tun”, versprach er. “Wenn es eine Antwort darauf gibt, wo Jade nun ist, dann finde ich sie heraus.”
Sam drehte sich um. In seiner Wange zuckte ein Muskel, als er nach Lukes Hand griff.
“Danke dir, mein Freund. Finde meine Familie – sag mir irgendeinen Preis.”
“Freundschaft hat keinen Preis”, entgegnete Luke. “Ich gebe mich mit ein paar Gebeten zufrieden.”
Sam nickte und schluckte die Tränen hinunter, als er Lukes Hand schüttelte. “Dafür werde ich in den nächsten
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