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Gefangene Seele

Gefangene Seele

Titel: Gefangene Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Sala
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den Dielenboden knarzen und das Scheuern von Ästen an der Häuserwand.
    * * *
    Zur selben Zeit befanden sich am anderen Ende der Stadt viele der Flutopfer in einem alten Gemeindehaus, das zu einem Auffanglager umfunktioniert worden war. Die großen Räume waren vollgestellt mit Feldbetten, die in langen Reihen entlang der Wände aufgebaut worden waren. Um diese Tageszeit hätte es ruhig sein sollen, aber die Schlafsäle waren angefüllt von den Geräuschen der Menschen, die in ihnen Unterschlupf gesucht hatten: dem Schreien von kleinen Kindern und dem unterbrochenen Schnarchen alter Menschen. Eltern, die zu aufgeregt waren, um zu schlafen, hielten ihre Kinder auf dem Schoß, während sich ihr ganzes Hab und Gut auf dem Mississippi in Richtung Golf von Mexiko davonmachte.
    Clarence hatte Jade und Raphael hier abgeliefert, bevor er seine Schwester Clarice mit zu sich nahm. Auch Clarice hätte einen Schlafplatz bekommen, aber sie überlies ihn lieber jemandem, der gar nicht wusste, wo er hingehen sollte. In einer Ecke des Raumes schlief Jade auf einer Pritsche, neben ihr lag Raphael und schirmte sie wie immer gegen die Umwelt ab.
    Die Geräusche im Schlafsaal mischten sich in Jades Unterbewusstsein mit ihren frühen Erinnerungen und entwickelten sich zu einem immer größer werdenden Albtraum.
    Der Onkel war eingeschlafen. Das wusste Jade, denn sie konnte ihn schnarchen hören. Sie wollte aufstehen, aber sein schwerer Arm lag auf ihrem Körper und hielt sie auf der Matratze. Ihr stiegen die Tränen in die Augen und rollten über ihre Wangen, aber sie traute sich nicht, etwas zu sagen oder zu tun. Dann würde der Mann nur aufwachen. Wenn er wieder aufwachte, wollte er vielleicht wieder das Spiel mit ihr spielen, und Jade wollte nicht mehr spielen.
    Sie schloss die Augen und dachte an Raphael. Manchmal, wenn sie nur stark genug an ihn dachte, dann kam er und holte sie. Sie wünschte sich, dass er sie nun fand und sie fortnehmen würde. Der Arm des Onkels wog schwer auf ihr, und er roch schlecht aus dem Mund, sehr schlecht.
    Raphael. Raphael. Raphael.
    Sie dachte an seinen Namen, stellte sich sein Gesicht vor und fantasierte, wie er in das Zimmer kommen würde.
    Plötzlich schnarchte der Onkel nicht mehr, sondern schnaubte, dann hustete er aus ganzer Lunge.
    Jade zuckte zusammen und kniff die Augen nur noch fester zu. Sie wollte nicht, dass er bemerkte, dass sie noch wach war.
    Raphael. Raphael. Raphael.
    Plötzlich spürte sie die Hand auf ihrer Brust, dann wanderte sie über ihren Körper zwischen ihre Beine.
    “
Hallo, mein hübsches Kind … wach auf, der Onkel will mit dir spielen. Wach auf. Wir spielen jetzt was Hübsches.”
    Jade spannte jeden Muskel an.
    Raphael. Raphael.
    “
Na, komm schon, Mädchen … der Onkel hat nicht die ganze Nacht Zeit. Ich muss vor dem Morgengrauen aus diesem Drecksloch hier verschwinden.”
    Raphael. Raphael.
    “
Jetzt mach mal die Augen auf. Der Onkel will, dass du ihm dabei zusiehst, wie er mit dir spielt.”
    Die Finger drangen tiefer und gieriger in sie ein.
    Raphael. Raphael.
    “
Mach die Augen auf, verdammt noch mal! Der Onkel will jetzt spielen!”
    Plötzlich spürte Jade seine Handfläche auf ihrer Wange. Instinktiv öffnete sie die Augen, um dem nächsten Schlag ausweichen zu können.
    “
Da! So schöne Augen hat sie. Die will ich sehen”, sagte er, nahm ihre Hand und führte sie zu seinem Schoß.
    Jade spürte, wie sich der Schrei in ihrem Hals den Weg nach oben bahnte, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Sie dachte nicht mehr an Raphael, sondern rief laut nach ihm.
    “
Raphael! Raphael!”
    Jade weinte im Schlaf. Mit einem Ruck wachte Raphael auf und tastete nach ihr, bevor er überhaupt die Augen öffnen konnte. Jade war auf der Pritsche bis an den Rand und an die Wand gerutscht. Sie hatte die Augen offen, aber Raphael spürte, dass sie nichts wahrnahm – außer diesem schlimmen Albtraum.
    Er griff nach ihrem Arm und schüttelte sie wach.
    “Jade! Jade! Wach auf, Honey. Du hast schlecht geträumt.”
    Jade schluchzte auf, schluckte, krabbelte von ihrem Bett herunter und auf seinen Schoß.
    “Oh Gott, oh Gott!”, wimmerte sie und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals.
    Plötzlich bemerkte Raphael, dass jemand ihm eine Hand auf die Schulter legte. Er schreckte auf. Es war ein freiwilliger Helfer des Roten Kreuzes, der sich ihm vorher als Charlie vorgestellt hatte.
    “Ist sie krank?”, fragte er.
    Raphael schüttelte den Kopf und drückte sie fester an sich.

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