Gefangene Seele
kontrollieren und streckte das Kinn leicht vor, als erwarte er einen Schlag. Plötzlich erinnerte sich Jade daran, dass der alte Taxifahrer gesagt hatte, sie solle auf ihn hören und Vertrauen haben. Aber sie vertraute niemandem außer …
“Raphael?”
“Das geht schon in Ordnung.”
Jades Miene verdunkelte sich.
Luke spürte, dass sie ihm misstraute. Es war fast körperlich, aber er sagte ihr, was er ihr nun einmal zu sagen hatte.
“Jade Cochrane. Ich bin Luke Kelly. Ich habe von Ihrem Vater, Sam Cochrane, den Auftrag bekommen, Sie zu finden und nach Hause zu bringen.”
6. KAPITEL
“I ch glaube Ihnen nicht”, sagte Jade und sah Raphael erschrocken an. “Wie kannst du mit ihm reden? Wir wissen nicht, wer er ist. Was ist, wenn Solomon ihn geschickt hat?”
Noch einmal nahm Luke seine Brieftasche hervor und zeigte ihr seinen Ausweis. “Ich kenne niemanden mit dem Namen Solomon. Hier sind meine Papiere. Ich war früher bei der Polizei. Ich führe eine Privatdetektei in St. Louis, Missouri.
Vor mehr als zwanzig Jahren nahm eine Frau namens Margaret Cochrane ihre damals vierjährige Tochter Jade und verschwand. Ihr Ehemann, Sam, gab zehn Jahre lang jeden Penny, den er übrig hatte, dafür aus, die beiden suchen zu lassen – ohne Erfolg. Jetzt, zwanzig Jahre später, ist Sam Cochrane immer noch alleine und wird allmählich alt. Dann kommt die Frau eines Freundes von ihm mit einem Gemälde nach Hause, auf dem seine Frau abgebildet ist. Die Bekannte hatte es auf einem Straßenmarkt in San Francisco gekauft.”
Jade wurde blass.
“Das Porträt stellte, wie gesagt, seine Frau Margaret dar, nur dass die Künstlerin sie Ivy nannte. Können Sie sich vorstellen, wie sich Sam gefühlt haben muss?”
Jade spürte den Boden unter sich schwanken, als sie mit immer größerem Erstaunen diesem Luke Kelly zuhörte.
“Er war hin- und hergerissen zwischen größter Hoffnung und totaler Verzweiflung. Was er sich auch immer gewünscht haben mag, seine Hoffnungen wurden zerstört, als er hörte, dass seine Frau tot sei. Es war so, als würde er sie ein zweites Mal verlieren.”
“Oh”, flüsterte Jade mit einem Seufzer.
Sie hatte das Gefühl, als drehte sich um sie herum der Raum, und sie begann zu zittern. Sie wollte, dass das alles aufhörte, und dass der Mann wegging, aber es war, als beobachtete sie einen Unfall und könne einfach nicht wegschauen.
Luke sah ihr an, dass sie diese Nachricht nicht gut aufnahm, aber genauso war es auch Sam ergangen, und jemand musste es ihr sagen.
“Ursprünglich wollte Sam, dass ich den Maler finde. Er hatte sich gedacht, dass der Maler Margaret gut kennen müsste, wenn er sie so treffend porträtieren konnte. Wenn das der Fall war, könnte derjenige auch seine Tochter kennen. Sam hätte sich nie träumen lassen, dass seine Tochter das Porträt gemalt hat.”
“Wie haben Sie das herausgefunden?”, wollte Raphael wissen.
“Wir haben den Fingerabdruck auf dem Bild durch den Erkennungsdienst überprüfen lassen. Wir waren alle total überrascht, als wir herausfanden, dass der Fingerabdruck zu Sams kleinem Mädchen gehört.”
Jades Herz klopfte heftig. Das war fast noch beängstigender als der Gedanke, von Solomon aufgespürt zu werden. Das Schlimmste allerdings war, dass sie anfing, Luke zu glauben. Aber was bedeutete das alles? Könnte sie einfach einen Fremden treffen und ihn als Vater akzeptieren? Auch wenn er wirklich ihr Vater wäre – er war ein Mann und schon deswegen würde sie ihm niemals vertrauen können.
“Oh mein Gott”, murmelte Jade und tastete nach Raphaels Hand. “Raphael?”
“Was, Baby?”
“Was machen wir jetzt bloß?”
“Es geht hier um dich”, sagte er leise.
Jade spannte jeden Muskel in ihrem Körper an. Verzweifelt sah sie von Raphael zu Luke und zurück. Dann griff sie plötzlich Raphael am Ärmel und zog daran. “Nein, hier geht es auch um
dich”
, rief sie aus. “Wir sind eine Familie! Du und ich. Ich und du. So ist es immer gewesen und so wird es auch bleiben! Das ändert sich doch nicht! Es ist mir doch egal, ob ein Dutzend Leute behaupten, ich sei ihre Tochter. Ich gehe ohne dich nirgendwohin, verstehst du das nicht?”
Luke begriff, dass Jade niemals ohne Raphael zu Sam Cochrane zurückkehren würde, dafür nahm sie diese Nachricht viel zu sehr mit. Bevor sie noch hysterischer wurde, sprach er ruhig auf sie ein: “Bitte, Miss Cochrane. Sam wird bestimmt nichts dagegen haben, wenn Sie in Begleitung kommen, so viel kann ich
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