Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
Vereinigung wehrte, desto irrationaler würde er reagieren. Denn er war nun einmal kein Mensch. Er war ein Gestaltwandler. Und sein Tier war nicht immer vernünftig.
„Das Band zwischen uns“, sagte sie anstelle einer Antwort, „zerrt an mir, versucht, mich aus dem Medialnet herauszuziehen. Ich müsste Angst davor haben. Aber ich möchte ihm auch folgen.“
Einen Augenblick lang konnte er gar nichts mehr denken. „Dann tu das“, sagte er schließlich. „Ich fange dich auf.“
Er spürte Ashayas Finger auf seinem Gesicht, zarte Berührungen, so flüchtig wie von Schmetterlingen. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie gerne ich das tun würde. Ich würde mein Leben dafür geben. Aber …“
Er legte die Hand an ihre Wange und beugte sich ihr entgegen, bis seine Stirn die ihre berührte. „Aber was, Shaya? Ich weiß, dass du Amara liebst, aber willst du dich wirklich von ihr bevormunden lassen?“
„In guten wie in schlechten Zeiten, ich bin ihre Hüterin, Dorian. Manchmal …“ Ein Riss tat sich in ihrer harten Schale auf und gab einen Blick auf ihr innerstes Wesen frei. „Manchmal drückt mir diese Verantwortung die Luft ab, und ich möchte schreien und weglaufen. Aber wenn ich das tue, ist sie vollkommen allein, ich würde damit ihr Todesurteil unterschreiben.“
„Weil sie versuchen würde, mich zu töten?“, vermutete er, dann lenkte ein Wagen mit dunklen Scheiben ganz am Ende des Parkhauses seine Aufmerksamkeit auf sich. Das Fahrzeug gehörte nicht dem Rudel.
Doch Ashayas nächste Worte ließen ihn den verdächtigen Wagen sofort wieder vergessen. „Wir wussten doch immer, wer gewinnen würde.“ Er spürte den Hauch ihrer geflüsterten Worte an seinen Lippen, das Eis schmolz dahin.
„Zum Teufel, Shaya. Sag bloß nicht, du wehrst dich gegen das Band, um mir zu helfen!“
Sie schwieg trotzig.
„Verdammt noch mal.“ Das Tier in ihm war alles andere als erfreut. „Ich bin ein Wächter der DarkRiver-Leoparden, Süße. Wir sind so verdammt gefährlich, dass selbst der Rat uns ernst nimmt. Ich kann es mit Amara aufnehmen.“
Sie strich mit den Fingern über sein stoppliges Kinn und schüttelte den Kopf. „Und was wirst du dabei empfinden, eine Schwester zu töten?“
Einen kurzen Moment lang verschlug es ihm den Atem.
„Oh Gott.“ Er schwankte, ihm wurde übel, als ihm klar wurde, was sie damit meinte. Solange er diesen Gedanken verdrängt hatte, hatte er auch das Nächstliegende nicht sehen können.
Sascha saß Amara gegenüber. Man hatte ihr gestattet zu duschen und ihr die Fesseln abgenommen. Lucas stand draußen vor der Tür, Jamie hinter dem Haus, Clay und Dezi bewachten die Umgebung. Sascha selbst war durchaus nicht hilflos. Sie besaß ein paar telekinetische und telepathische Fähigkeiten und hatte gelernt, diese auch aggressiv einzusetzen; außerdem hatte sie viele Nachmittage mit Lucas verbracht – in denen er herumgebrüllt und ihr Selbstverteidigung beigebracht hatte. Es hatte sie sehr viel Schweiß und Anstrengungen gekostet. Einige Male hatte sie auch zurückgebrüllt, wie sie sehr wohl wusste. Das Resultat war jedenfalls, dass Amara mit einem Angriff nicht sehr weit kommen würde.
Im Moment allerdings wirkte Ashayas Zwillingsschwester sehr mit sich selbst zufrieden. „Eine der mysteriösen E-Medialen“, murmelte sie vollkommen ernst. „Sie sehen ganz gewöhnlich aus.“
„Haben Sie etwas anderes erwartet?“
„Ich habe eine Leiche erwartet. Niemand kann außerhalb des Medialnet überleben.“
Sascha lächelte gezwungen. „Wie haben Sie meine Fähigkeiten erkannt?“
„Gerüchte im Medialnet. Es ist ja nicht so, dass Sie damit hinter dem Berg halten.“
„Nein.“ Sascha wusste, dass etwas ganz und gar nicht stimmte mit Amara Aleine, aber es war geradezu unheimlich, wie gesund sie geistig auf den ersten Blick wirkte. „Warum haben Sie nach Ashaya gesucht?“
„Sie gehört mir.“ Kategorisch und unnachgiebig.
Sascha erkannte den Schwachpunkt. „Sie würden ihr nie wehtun.“
Keine Antwort, als sei die Frage zu dumm.
„Sie gehört Ihnen, daher würden Sie sich damit selbst verletzen.“
Interesse flackerte in Amaras Augen auf. „Sie sind clever.“
Und Amara war vollkommen selbstsüchtig. „Dorian gehört zu Ashaya“, sagte Sascha. „Wenn Sie ihm etwas tun, verletzt es Ihre Schwester.“
Amaras Augen blickten leer. „Sie gehört mir.“
Sascha hatte all ihre Sinne geschärft, um bei Amara den kleinsten Hinweis auf Gefühle wahrzunehmen, aber
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