Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
defekte Gene weiter zu fördern.
Aber er hatte in solchen Dingen nicht die alleinige Verfügungsgewalt – die anderen Ratsmitglieder hatten ihr Veto eingelegt. Es würde Unruhe in der Bevölkerung hervorrufen, wenn man zu viele Kinder einer Rehabilitation unterzog, hatten sie behauptet.
„Ein weiterer Defekt“, notierte er und gab noch mehr Daten ein. Silentium hätte ihnen solche Sorgen nehmen sollen. Aber zu viele seiner Brüder und Schwestern – nein, das waren sie nicht, im Vergleich zu seinem vollkommen in Silentium gehüllten Geist waren sie nur dumpfe Primaten – wurden immer noch von dem Urinstinkt geleitet, ihre Jungen zu beschützen, selbst wenn diese eine Schwäche oder einen Defekt hatten.
Er gab noch zwei weitere Namen ein, schloss dann den mit einem Code versehenen Ordner und versteckte ihn an einem geheimen Ort in seinen Computerarchiven. Er versteckte nicht mehr so viel im Medialnet wie früher. Seine Frau Shoshanna hatte schon seit langem ihre Grenzen überschritten und ihre Nase in Dinge gesteckt, die sie nichts angingen.
Aber sie wusste nicht alles.
Sein Blick glitt auf die linke Seite seines Schreibtisches, zu dem schweren, weißen Umschlag mit Goldschnitt. Ein protzig glitzerndes Ding, auf dem Privat und Vertraulich stand. Die perfekte Tarnung, dachte er. Selbst sein sonst so raffinierter Sekretär hatte ihn in die Ablage für Medieneinladungen gelegt.
Henry ergriff den Umschlag, öffnete ihn und zog die schwere weiße, mit goldenen Lettern bedruckte Karte heraus.
Es wäre uns eine Ehre, Sie bei uns begrüßen zu dürfen.
Das Passwort wurde dem Ratsherrn per E-Mail zugestellt:
MAKELLOSE MEDIALE
Eine Internet-Adresse nur aus Ziffern folgte.
Das waren keine unbedeutenden Leute – nur wenige Auserwählte kannten seine private Mailadresse. Wie die meisten Medialen benutzte er diese Form der Kommunikation höchst selten, aber ab und zu war es recht nützlich. Wie zum Beispiel jetzt. Das Passwort war unter der Betreffzeile „Makellos“ zugestellt worden.
Er wandte sich wieder dem Computer zu und stellte den Kontakt zum Internet her. Im Medialnet wurden Informationen innerhalb von Mikrosekunden übermittelt, im Vergleich dazu war das Internet schrecklich langsam, aber genau deshalb interessierten sich die meisten Medialen auch nicht dafür. Die Adresse würde zusätzlich dafür sorgen, keine unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen.
Doch der größte Vorteil des Internet bestand darin, dass es nicht in den Bereich des Netkopfes fiel, dem Wächter und Archivar des Medialnet. Henry hielt den Netkopf zwar nicht für parteiisch, aber Kaleb Krychek hatte ihn unter Kontrolle und damit wahrscheinlich Zugang zu Informationen, die andere lieber geheimhalten würden. Wie die Existenz dieser Gruppe.
Mit einem leisen Signalton baute der Browser die Website auf. Sie war schwarz bis auf ein weißes leeres Kästchen und die Worte:
PASSWORT EINGEBEN
Henry brauchte nicht noch einmal in seine Mails zu schauen. Das Passwort war leicht zu merken.
F_GALTON1822
14
Das Unausweichliche naht schnell, aber mir bleibt noch Zeit. Zeit genug, Dich davon zu überzeugen, was Du tun musst, wenn die Wahrheit jemals ans Licht kommt. Lauf weg und versteck Dich. Nur so kann man überleben. Aber noch während ich jetzt versuche, Dich davon zu überzeugen, weiß ich, dass es mir nicht gelingen wird. Sie scheint nach außen hin stärker zu sein, aber Du warst immer die Mutigere, viel mutiger, als ich gedacht hätte. Doch Mut kann die Auftragskiller des Rates nicht aufhalten. Lauf weg.
– aus einem Brief, unterzeichnet mit Iliana, Juli 2069
Es ging schneller, als Dorian erwartet hatte – um neun am nächsten Morgen spielte er Bodyguard im ersten Untergeschoss des DarkRiver-Hauptquartiers in San Francisco. Das Rudel besaß zwar Anteile an CTX, einem großen Sender, aber dieser Teil des Gebäudes war nur für Übertragungen von Guerillaaktionen bestimmt. Ashaya konnte so gleichzeitig im Internet und auf CTX erscheinen.
Eine Maskenbildnerin näherte sich Ashaya vorsichtig, hielt einen weichen, großen Schminkpinsel wie ein Friedensangebot in die Höhe. Dorian funkelte sie an. Die Neunzehnjährige – genau wie alle anderen oder fast alle anderen in diesem Raum eine Rudelgefährtin – machte auf dem Absatz kehrt und floh.
„Sehr effizient.“
Dorian wandte sich der Sprecherin zu. Er war immer noch sauer auf Ashaya.
Ich würde mich aus freien Stücken für Silentium entscheiden.
Er war nicht so dumm,
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