Gefechte der Leidenschaft
noch drei Tage, bis sie Caid und Nicholas zufällig traf. Sie und Agatha waren auf der Suche nach Seidenstrümpfen und Haarbändern und Figaro zottelte an einer Leine aus Korduanleder hinter ihnen drein. Auf dem Weg zu Avinenc auf der Rue Chartres hörten sie plötzlich Trommelwirbel. Als sie zum Place d’Armes, dem alten Paradeplatz vor der Kathedrale kamen, sahen sie, dass sich im Schatten der Sykomoren, die den offenen Platz umstanden, eine Menschenmenge versammelt hatte. Die Leute plauderten und fächelten sich träge in der Frühlingswärme, während sie der Miliz zuschauten, die hinter dem niedrigen Zaun aus Schmiedeeisen exerzierte. Staubbedeckt und schwitzend marschierten die Männer auf und ab.
Es war kein ungewohnter Anblick, denn hier pflegte die Miliz schon seit Jahrzehnten zu üben. Doch heute morgen war irgendetwas anders.
»Es kommt mir so vor, als seien es mehr«, sagte Lisette zu Agatha, als sie versuchten, durch die dicht gedrängten Menschen hindurch einen Blick auf den Platz zu werfen. »Dir nicht auch?«
»Und wie gut sie marschieren! Ich gebe es zwar nur äußerst ungern zu, aber ich glaube, sie sind besser als die Bürgerwehr dort, wo ich herkomme.«
»Ich habe gehört, dass man die Louisiana-Legion nach dem Muster der Truppen Napoleons organisiert hat.« Auch für Lisettes ungeschulten Blick boten die Männer ein prachtvolles Bild, wie sie da in ihren schmucken Uniformen exerzierten, ihre Bewegungen so präzise nach den Befehlsrufen ausgerichtet, als seien sie von einem einzigen Geist beseelt.
»Oh, schau mal, da ist Monsieur Nicholas!«, rief Agatha mit hochroten Wangen.
»Wo? «
»In der ersten Reihe neben Monsieur Caid. Sie sehen großartig aus!«
Das stimmte wirklich. Mit ihrer imposanten Haltung und den muskulösen Körpern stachen sie deutlich aus der Menge der Männer hervor.
Ein sonderbares Gefühl überkam Lisette. Es begann hinter ihrem Brustbein, stieg ihr bis in die Kehle und nahm ihr den Atem. Bis zu diesem Augenblick war ihr der Krieg mit Mexiko, von dem alle Welt so leichtherzig sprach, als leere Drohung erschienen, die sich am Ende durch die Kunst der Diplomatie und die bloße Demonstration militärischer Stärke in Nichts auflösen würde. Doch die Reihen marschierender Männer ließen ihn auf einmal bedrückend wirklich erscheinen. Vielleicht würden sie sterben, diese tapferen Männer, die hoch erhobenen Hauptes so forsch dahinschritten. Vielleicht zogen sie in den Krieg und kamen nicht mehr zurück.
Jeder von ihnen konnte allerdings auch auf dem Duellplatz getötet werden — morgen, nächste Woche, nächstes Jahr. So war ihre Welt eben. Wie mutig und stolz mussten Männer doch immer sein! Lisette presste schnell die Hand an den Mund, um einen Aufschrei des Protests zu unterdrücken, der ihr bei diesen Gedanken beinahe entfahren wäre.
Im selben Moment stieß Figaro ein leises Knurren aus und schon erklangen Schritte hinter ihr. Noch bevor sie sich umdrehte, bekam Lisette eine Gänsehaut und die feinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf.
Ihr Schwiegervater stand nur eine Armeslänge von ihnen entfernt. Er sah weniger gesund aus als bei ihrer letzten Begegnung. Seine Züge wirkten so verwüstet wie die seiner Frau während ihrer geheimnisvollen Krankheit und seine Lippen waren dünn wie ein Strich. Er sprach Lisette mit einem boshaften Lächeln an. »Das hätte ich mir denken können, dass ich dich hier finden würde, wo es so viele Männer auf einmal zu sehen gibt.«
Lisette zog es vor, diese Beleidigung nicht zu beachten. »Was Sie hierher führt, kann ich mir kaum vorstellen.«
»Das ist auch besser so. Es würde dir vielleicht nicht gefallen.«
Während er Lisette mit kalter Bosheit anstarrte, würdigte er Agatha keines Blickes. Es hat keinen Sinn, mit ihm zu streiten, dachte Lisette. Er würde keine Vernunft annehmen und sie erwartete es auch gar nicht mehr. »Sie müssen uns nun entschuldigen, Monsieur«, sagte sie daher und zog an Figaros Leine.
»Im Gegenteil. Du hast dich viel zu lange hinter dem Rücken des Mannes versteckt, der meinen Sohn ermordet hat. Jetzt, da wir einander gegenüberstehen, wirst du zuhören, was ich dir zu sagen habe.«
»Das glaube ich nicht. Komm, Agatha.«
Sie wollte an Moisant Vorbeigehen, doch er packte sie mit seiner klauengleichen Hand am Arm. Da sprang Figaro hoch, schnappte nach seinem Hosenbein und zerrte mit einem kehligen Grollen daran.
Augenblicklich ließ Moisant Lisette los und taumelte zurück.
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