Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
doch waren Alkohol und Prügel, wie Mrs. English versichert, der Stoff, aus dem ihre Ehe gemacht war. Gewalt gab es schon vor der Ehe, sagte sie. Zur ersten gewalttätigen Szene kam es eines Abends, als sie es ablehnte, mit Harrold zu schlafen und er daraufhin wütend wurde. Er hatte ihrer Aussage nach sehr viel getrunken. Das entwikkelte sich mit der Zeit zu einem Muster: Exzessiver Alkoholgenuß löste bei ihrem Mann häufig heftige Stimmungsumschwünge aus. An diesem Abend fiel er in der Küche über sie her und »vergewaltigte« sie, wie sie berichtete.
Später, berichtete sie weiter, zwang Harrold sie häufig gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr und schlug sie – immer an solchen Stellen, wo die Flecken später nicht zu sehen sein würden.
»Ich glaube, er meinte, wenn man die blauen Flecken nicht sähe, wäre auch nichts passiert«, sagte Mrs. English.
Sie berichtete ferner, daß ihr Mann sie auch während ihrer Schwangerschaft vergewaltigt und geprügelt habe. »Ich weiß nicht, was ihn an dieser Schwangerschaft so in Wut gebracht hat«, sagte sie. »Vielleicht hatte es damit zu tun, daß hier etwas mit mir vorging, das seiner Kontrolle entzogen war. Er schien mir immer am glücklichsten zu sein, wenn er mich ganz unter Kontrolle hatte.«
Seltsamerweise jedoch bezeichnete Mrs. English sich selbst manchmal als »Komplizin« und ließ etwas von sadomasochistischen Sexspielen zwischen ihr und ihrem Mann durchblicken, die möglicherweise ernster wurden, als sie vorausgesehen hatte. »Ich habe mitgemacht«, sagte sie und sprach von »seidenen Fesseln«, mit denen sie bei ihrem ersten Zusammensein ans Bett gebunden wurde. Irgendwann nach einer besonders brutalen Szene, die Mrs. English später als »Vergewaltigung« sah, ertappte sie sich bei der Frage, ob denn das, was an diesem Abend geschehen war, wirklich so anders war als alles vorangegangene.
An anderen Stellen ihres Berichts meinte sie, sie sei bei dem nicht endenden Drama heimlicher Gewalt, das ihre Ehe im wesentlichen gewesen sei, »passive Mitspielerin« gewesen.
Aus ihren Berichten trat Mrs. English mir als ausgesprochen leidenschaftliche Frau entgegen. Hinter der Fassade von Zurückhaltung, Zufriedenheit und Arbeitseifer, die sie ihren Arbeitskollegen präsentierte, verbirgt sich eine Frau, die, um sich selbst in Beziehung zu ihrem Mann zu beschreiben, Ausdrücke wie »ausgehungert«, »verloren« und »brennend vor Verlangen« verwendet. »Ich war wie ein Kreisel, den jemand heftig angetrieben und dann unbeachtet zurückgelassen hatte«, sagte sie in bezug auf ihr erstes Zusammensein mit ihrem Mann. Sie sprach davon, von einem »erotischen Fieber« gepackt gewesen zu sein, völlig »verstrickt« in die Beziehung zu ihrem Mann, einen »geheimen Pakt« mit ihm geschlossen zu haben. Beispielsweise schilderte sie im Detail eine Nacht unkonventioneller sexueller Praktiken, ohne auch nur anzudeuten, daß ihr das irgendwie unangenehm gewesen sei. Im Gegenteil, sie ließ durchblicken, sie habe es genossen. Diesen Enthüllungen ist zu entnehmen, daß vielleicht ihre eigene leidenschaftliche Natur zu der ungewöhnlichen Beziehung beigetragen hat.
Diese Ambivalenz in bezug auf Gewalt, wie sie im Haus der Englishs praktiziert wurde, ist für ein moralisches und juristisches Urteil über den Mord von entscheidender Bedeutung.
Einer der Prozeßzeugen, Willis Beale, ein Hummerfischer und trotz seines jugendlichen Alters von siebenundzwanzig Jahren ein »alter Hase«, sieht die Frage, wo denn nun häusliche Gewalt anfängt, aus einem anderen Blickwinkel. »Ich will ja nicht behaupten, daß sie lügt, aber wir hatten schließlich immer nur ihr Wort«, sagt Beale, der sich offenbar sehr um Mrs. English bemüht hat, solange sie in St. Hilaire lebte. Täglich ließ er seine Arbeit im sogenannten Fischhaus, wo er seine Hummerkörbe flickte, eine Zeitlang im Stich, um sie in ihrem Haus aufzusuchen und sich zu vergewissern, daß es ihr gut ging. »Bei den meisten Ehepaaren kommt’s irgendwann mal zu Handgreiflichkeiten. Das braucht nichts Ernstes zu sein. Nur eine Ohrfeige oder so was. Es gehören immer zwei dazu, stimmt’s? Ich will damit nur sagen, woher wollen wir wissen, wie es wirklich war?«
Das Ausmaß der häuslichen Kämpfe zwischen Harrold und Maureen English wirft beunruhigende ethische Fragen auf – zumal an dem von ihr vorgebrachten Tatmotiv doch gewisse leise Zweifel aufkommen müssen. Ein noch schwerwiegenderes juristisches Problem
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