Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
die mitten in den Kern meines Wesens traf, die Arbeit, die mein Leben war.
Konnte ich diesem jungen Mädchen mein Interesse an der widernatürlichen Tat, zu der es auf natürliche Weise kommt, erklären? Konnte ich ihr sagen, wie sehr mich die Gewalt und die Leidenschaft unmittelbar unter der dünnen Decke von Ordnung und Maßhalten faszinierten? Konnte ich ihr gegenüber zugeben, daß gerade dieser Exzeß, diese Bereitschaft, den Exzeß zuzulassen, mich an der Geschichte ihrer Mutter so verlockt hatte? Konnte ich diesem Kind gestehen, wie meine Hände jedesmal gezittert hatten, wenn die Päckchen ihrer Mutter bei mir eingetroffen waren?
»Mich interessieren die Extreme, zu denen Menschen sich versteigen«, antwortete ich.
Es schien ihr zu genügen.
»Nachdem ich letzte Woche in der Times vom Tod Ihrer Mutter gelesen hatte«, sagte ich, »bin ich einen ganzen Nachmittag nur durch die Stadt gelaufen. Die Erinnerung an Ihre Mutter hat bei mir viele starke Assoziationen ausgelöst, viele Fragen, die ich jahrelang verdrängen wollte. Als ich schließlich nach Hause kam, habe ich diese Unterlagen herausgesucht und alles noch einmal gelesen. Als ich es vor zwanzig Jahren las, war ich vom Ehrgeiz getrieben, heute habe ich es ganz anders gelesen … Und als ich fertig war, fand ich, daß Sie die Unterlagen haben sollten.«
Sie schüttelte langsam den Kopf hin und her.
»Es gibt auch ein Buch«, fügte ich hinzu.
Sie nickte. »Ich weiß. Aber ich habe es nie gelesen.«
»Ich habe es Ihnen mitgebracht, wenn Sie es haben möchten.« Ich griff in meinen Aktenkoffer. »Aber eigentlich ist es nur eine ausgewalzte Version des Artikels, die Themen und Fragen sind die gleichen.«
Als ich aufblickte, sah ich, daß sie wieder den Kopf schüttelte.
»Nein«, sagte sie. »Ich will es nicht haben.«
Ich steckte das Buch wieder ein.
»Durch die Geschichte Ihrer Mutter bin ich reich geworden«, sagte ich. Dann hielt ich inne und senkte den Blick.
»Sie hat Ihnen vertraut«, erwiderte Caroline. »Trotz ihrer Vorbehalte, trotz allem, was sie über die Branche wußte.«
Es war eine Verurteilung, die ich nicht anfechten konnte.
»Und der Titel Ihres Buches …«, sagte sie.
»›Seltsame Ausbrüche von Leidenschaft‹.«
»Das ist Wordsworth«, sagte sie. »Wir haben das Gedicht letztes Jahr gelesen. Ich hab den Titel vor Jahren mal gehört, von Jack oder von Julia, und war verblüfft, als ich beim Studium auf ihn stieß.«
»Er hat die Worte anders gemeint, nicht im modernen Sinn. Er wollte den Schmerz damit beschreiben«, begann ich und brach ab, als ich die Mischung aus tiefem Ernst und Schmerz in ihrem Blick sah.
»Was ich jetzt noch tun möchte, ist nicht ganz einfach für mich«, sagte ich und griff in meine Handtasche. »Aber es ist Tatsache, daß ich mit der Geschichte Ihrer Mutter sehr viel Geld verdient habe. Dieser Erfolg hat es mir möglich gemacht, andere Bücher zu schreiben – neuen Erfolg zu haben. Im Lauf der Jahre habe ich immer wieder versucht, ihr einen Teil dieses Einkommens zukommen zu lassen, aber jedesmal, wenn ich ihr einen Scheck schickte, kam der Umschlag ungeöffnet zurück. Ich habe hier einen Scheck, der Ihnen helfen könnte, Ihre Ausbildung zu finanzieren. Ich hoffe, Sie werden ihn nicht ablehnen. Ich finde, Ihre Mutter hätte Anspruch auf einen Teil des Geldes gehabt, das ich mit dem Buch verdient habe.«
Ich hatte nicht die geringste Hoffnung, daß sie den Scheck annehmen würde. Ich kam mir töricht vor, als ich ihn ihr hinhielt. Ich sah mich so, wie sie mich sehen mußte – als eine Frau, die sie bestechen wollte.
Sie blieb lange an ihrem Schreibtisch stehen, länger als nötig gewesen wäre, um mich zu demütigen. Deshalb war ich zutiefst erstaunt, als sie den Scheck annahm.
Erstaunt und dann erleichtert.
»Ich brauche das Geld«, sagte sie einfach. »Vom Erbe meines Vaters ist nichts mehr da. Jack hat selbst nicht viel, und ich frage nicht gern.«
Sie dankte mir nicht. Sie war wohl der Meinung, das Geld habe ihrer Mutter zugestanden und daher jetzt ihr.
»Tja, dann gehe ich jetzt.« Ich stand auf und zog meinen Mantel über.
Daß sie den Scheck angenommen hatte, war ein unerwarteter Gewinn für mich. Fast wie ein Freispruch.
»Ich habe nur noch eine Frage«, sagte sie.
»Aber natürlich«, erwiderte ich, vielleicht ein wenig zu unbekümmert.
Ich dachte schon daran, jetzt irgendwo essen zu gehen und dann in das Motelzimmer zurückzukehren, das ich mir am Nachmittag besorgt
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