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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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jedoch ergibt sich aus Mrs. Englishs Behauptung, in ihrer Ehe seien Alkoholmißbrauch und körperliche Gewalt an der Tagesordnung gewesen: Bisher nämlich gibt es nicht den geringsten Beweis für die Wahrheit dieser Behauptung.
    Niemand kann Mrs. Englishs Aussagen bei beiden Prozessen, daß ihr Mann wiederholt gewalttätig geworden ist, bestätigen. Mrs. English behauptet heute zwar, ihr Mann habe sie mindestens dreimal brutal verprügelt und sie im Lauf ihrer Ehe immer wieder geschlagen, aber sie scheint zum Zeitpunkt der Taten niemandem davon berichtet zu haben. Es gibt keine Zeugen.
    Bei der Redaktionsfeier, die das Paar gemeinsam besuchte, fiel keinem der Anwesenden auch nur die geringste Unstimmigkeit zwischen den Partnern auf. Zweifellos ist es möglich, daß Mrs. English die Spuren körperlicher Mißhandlung trug, anzusehen war ihr jedenfalls nichts. Sie verließ das Fest zeitig mit der Entschuldigung, daß sie ihr kleines Kind zu Bett bringen müsse. Heute behauptet sie, ihr Mann habe sie gezwungen zu gehen, weil er sie im Gespräch mit einem anderen Mann gesehen habe. Er habe sie nach seiner Rückkehr von dem Fest brutal verprügelt. Das, sagt sie, habe sie zur Flucht getrieben. »Ich habe um den Tod meines Mannes gebetet«, sagte sie.
    Aber wenn die Situation wirklich so schlimm war, wie Mrs. English heute vorgibt, warum hat sie sich dann nicht an die Polizei gewendet? Staatsanwalt Pickering sprach bei beiden Verhandlungen eine ähnliche Frage an. »Wenn diese Behauptungen, ständig körperlicher Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein, zutreffen, warum hat Maureen English dann ihren Mann nicht schon viel früher verlassen, als die Mißhandlungen begannen?«
    Bei ihrer Ankunft in St. Hilaire erklärte Mrs. English den Leuten im Dorf, ihre Verletzungen seien Folgen eines Autounfalls. Sie gab ferner vor, aus Syracuse zu kommen, obwohl das nicht stimmte. Und selbst nachdem sie schließlich über die Gewalttätigkeit ihres Mann berichtet hatte, lehnte sie es ab, sich an die Polizei zu wenden.
    Auch Mrs. Englishs Behauptung, ihr Mann habe während der Ehe schwer getrunken, wurde in Zweifel gezogen. Chefredakteur Kaplan sagte: »Harrold war kein Alkoholiker. Er hat nicht mehr und nicht weniger getrunken als wir alle. Einen Martini zum Lunch, vielleicht zwei bei einem besonderen Anlaß. Aber das war auch alles.«
    Ganz gleich, was sich tatsächlich zwischen Harrold English und seiner Frau abspielte, es gibt gewisse Beweise dafür, daß sich nicht lange nach der Heirat Spannungen entwickelten. Jede Reise, die sie aufgrund ihrer Tätigkeit unternehmen mußte, sei ihrem Mann Anlaß zu krankhafter Eifersucht gewesen, erklärte Mrs. English. Wie die meisten Inlandsreporter war sie häufig mit anderen Reportern und Fotografen unterwegs. Zwar hatte sie stets ein eigenes Zimmer, sie räumt aber ein, daß man im Team sehr locker miteinander umging, und auch die männlichen Kollegen sie oft in ihrem Hotelzimmer aufsuchten. Harrold English fand dieses vertraute Miteinander unerträglich und schlug sie, ihrer Aussage zufolge, einmal brutal zusammen, als sie von so einer Reise zurückkam. Danach mußte sie ihren Vorgesetzten vormachen, sie wäre leicht reisekrank und könne deshalb in Zukunft nicht mehr mit dem Flugzeug oder Auto reisen. Sie mußte ihre Tätigkeit als Reporterin aufgeben und wurde als Bearbeiterin von Artikeln eingesetzt, die andere Leute geschrieben hatten. Das war praktisch das Ende einer vielversprechenden Karriere.
    Mrs. English sagte, sie habe in dieser Zeit eine Psychiaterin aufgesucht und sogar an Selbstmord gedacht. Es ist möglich, daß ihre Hoffnungslosigkeit durch die Schwangerschaft einen Tiefpunkt erreichte. Sie gab ihre Arbeit bei der Zeitschrift ungewöhnlich früh in ihrer Schwangerschaft auf und verließ danach nur noch selten ihre Wohnung. Einmal floh sie zu ihrer Mutter.
    Es mag sein, daß auch der Alkohol dazu beitrug, daß sie immer mehr den Boden unter den Füßen verlor. Sie und ihr Mann hätten beide in dieser Zeit exzessiv getrunken, sagte Mrs. English. »Wir tranken zum Ertrinken«, erklärte sie. Sie tranken in Bars und dann weiter Zuhause. Auffällig ist, daß Mrs. English auch während ihres Aufenthalts in Maine trank. Sie gibt selbst zu, daß in ihrem Kühlschrank in dem Haus in Flat Point Bar immer Bier stand, und sie bot Willis Beale fast jedesmal zu trinken an, wenn er sie besuchte. Auch nach ihrer Ankunft in St. Hilaire scheint Mrs. Englishs seelische Verfassung sehr

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