Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
mir zu Hause das Essen vom Tisch klaut.
Verstehen Sie, was ich meine?
Wann kommt Ihr Artikel denn überhaupt raus? Kommt da mein Name rein?
Na klar hab ich sie gekannt. Ich hab ja mein Boot unten am Kap liegen und hab ihr ab und zu mal ein bißchen unter die Arme greifen müssen. Ich hab zum Beispiel den Schnee in der Straße zum Haus geräumt. Solche Sachen.
Hübsch war sie, richtig hübsch. Und nett. Zu mir war sie immer nett. Die hätte mir gefallen können, Sie wissen schon, wenn’s gepaßt hätte. Aber ich bin ja verheiratet und ich liebe meine Frau, da kam doch so was natürlich nicht in Frage.
Aber wissen Sie, dieses ganze Schlamassel – ich hab da meine eigene Meinung. Das ist eine komplizierte Geschichte.
Ich mein, wir hatten doch für alles immer nur ihr Wort. Damit will ich nicht sagen, daß sie gelogen hat oder so was, aber nehmen Sie mal Jeannine und mich. Ich liebe meine Frau, aber ich würde nicht behaupten, daß wir nicht auch unsere Krisen gehabt haben. Und ein-, zweimal vielleicht ist es schon auch ein bißchen härter zur Sache gegangen, wenn Sie verstehen, was ich mein. Schlimm war’s nie, es waren immer nur Kleinigkeiten. Aber trotzdem – es gehören halt immer zwei dazu, stimmt’s? Was ich damit sagen will, woher wollen wir wissen, wie’s wirklich war? Und feststeht, daß sie das Kind mitgenommen hat. Also, ehrlich gesagt, wenn meine Frau so was machen würde, der würd ich eigenhändig den Hals umdrehen. Und seien wir doch mal ehrlich, jeder Mann würde so handeln, wenn man ihm einfach sein Kind entführt und spurlos verschwindet. Ich mein, das würde doch jeden stinkwütend machen, ganz gleich, wer an allem schuld ist. Es gibt doch Mittel und Wege, mit Schwierigkeiten in der Ehe fertigzuwerden. Da braucht man nicht gleich abzuhauen. Entweder man redet drüber oder man läßt sich scheiden, so seh ich das jedenfalls.
Und anderes muß man ja auch noch bedenken.
Ich hab mir so meine Gedanken gemacht. Bevor Mary Amesbury hier aufgekreuzt ist, war das hier ein friedliches kleines Nest. Nichts Aufregendes, aber die Leute hier sind anständig und halten sich an die Gesetze und so, Sie wissen schon, was ich mein. Da taucht die plötzlich hier auf, und alles geht in die Brüche. Als wär ein Wirbelsturm durchs Dorf gefegt. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich hab sie gemocht, und ich behaupte nicht, daß sie’s drauf angelegt hat, hier alles aufzumischen. Aber sie hat’s getan, das kann keiner bestreiten.
Ich mein, sehen Sie’s doch mal so: Als sie hier wieder verschwunden ist, hatten wir hier einen Mord, eine angebliche Vergewaltigung mit Körperverletzung und einen Selbstmord. Und drei Kinder haben keine Mütter mehr.
Die hat doch wohl einiges zu verantworten.
Mary Amesbury
Ich sah Willis Beale nach, als er den Hang hinunter zu seinem Pick-up ging. Er stieg ein und ließ den Motor an. Ich sah ihn noch um die Ecke biegen, dann war er weg. Immer noch mit dem Kind im Arm, trat ich vom Fenster weg. Das Wasser zog sich jetzt zurück. Schnell. Schon konnte ich an die fünfzehn Meter Salzwiese unterhalb der Uferlinie sehen. Vor zwei Stunden noch hatte das Hochwasser an den Seegräsern geleckt.
Ich wußte nicht, wie spät es war, vielleicht drei Uhr, schätzte ich. Ich nahm mir vor, eine Uhr zu kaufen, vielleicht ein Radio. Die Sonne hatte an Kraft verloren. Am Horizont verdunkelte sich der Himmel, als sammelte sich dort eine Staubwolke. Spätestens um halb fünf würde es dunkel sein, dachte ich. Die Sonne würde hinter mir untergehen.
Am Küchentisch stehend sah ich zu, wie das Dunkelblau des Wassers im schwindenden Licht einen stumpfen schwarzblauen Ton annahm. Die Boote, die im Kanal vor Anker lagen, fingen das letzte Licht ein. Nachmittag und Abend dehnten sich vor mir. Leere Zeit, leerer Raum. Ich war froh, daß der Tag bald zu Ende gehen, die Dunkelheit früh kommen würde. Der Abend hatte seinen eigenen Rhythmus, war ausgefüllt von gewohnten Tätigkeiten, kochen, essen, Caroline zu Bett bringen. Damit konnte ich umgehen. Dann fiel mir ein, daß ich kein Buch mithatte, ich hatte nichts zu lesen.
Ich hörte ein Auto auf der Straße unten und glaubte im ersten Moment, Willis wäre zurückgekommen, er hätte vielleicht etwas vergessen. Aber der Pick-up war nicht rot, sondern schwarz. Er fuhr auf dem kompakten, nassen Sand fast bis zur Spitze des Kaps hinaus. Ein Mann stieg aus, der Wind riß an seinem Haar und blähte seinen kurzen gelben Ölmantel wie ein Segel auf. Er hatte
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