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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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so üblich.
    »Möchten Sie eine Tasse Kaffee?« fragte ich.
    »Oh, nein, danke, aber was Stärkeres nehm ich gern, wenn Sie was da haben.«
    Mir fiel ein, daß er mich im Laden das Bier hatte kaufen sehen.
    »Habe ich«, sagte ich. »Ich habe Bier da. Im Kühlschrank. Bedienen Sie sich.«
    Er öffnete den Kühlschrank, nahm eine Dose Bier heraus und sah sich das Etikett an. Er machte die Dose auf und nahm einen kräftigen Schluck. Die eine Hand um die Bierdose, die andere in der Hosentasche lehnte er sich wieder an die Arbeitsplatte. Er schien jetzt etwas entspannter zu sein, körperlich ruhiger.
    »So, so, Sie kommen also aus New York, hm?«
    »Nein«, widersprach ich. »Aus Syracuse.«
    »Syracuse«, wiederholte er sinnend. »Das ist im Norden?«
    »Ja.«
    Er sah zu seinen Füßen hinunter, zu den schweren, ölund schmutzverschmierten Stiefeln.
    »Und was hat Sie nach St. Hilaire geführt?« fragte er.
    »Das weiß ich selbst nicht«, antwortete ich. »Ich bin einfach immer weitergefahren, und als es dann dunkel wurde, habe ich angehalten.«
    Das entsprach nicht der Wahrheit. Ich hatte St. Hilaire ganz bewußt gewählt, weil es ein kleiner, abgelegener Punkt auf der Karte war.
    Er öffnete den Mund, als wolle er die nächste Frage stellen, aber ich kam ihm zuvor und sagte, um ihn abzulenken: »Was sind eigentlich Reusen?«
    Er lachte. »Man merkt, daß Sie nicht von hier sind. Das sind die – na ja, die Dinger, in denen man die Hummer fängt. Die Hummerkörbe, Sie wissen schon.«
    »Ach so«, sagte ich.
    »Ich nehm Sie mal auf meinem Boot mit raus, wenn’s ein bißchen wärmer wird«, sagte er.
    »Das ist nett, danke, mal sehen.«
    »Am 15. hol ich das Boot allerdings aus dem Wasser, wenn Sie also mitkommen wollen, muß es vorher sein.«
    Es wurde still.
    »Tja, dann geh ich jetzt mal besser«, sagte er nach einer Weile.
    An der Tür blieb er stehen, die Hand auf dem Knauf. »Also, okay, Rotfuchs, ich geh jetzt. Wenn Sie was brauchen, wenden Sie sich vertrauensvoll an den alten Willis. Und geben Sie auf die Honigpötte acht.«
    »Die Honigpötte?«
    Er lachte wieder. »Kommen Sie her, dann zeig ich’s Ihnen.« Er winkte mir, und ich trat neben ihn an die Tür. Er legte mir die Hand auf die Schulter.
    »Sehen Sie, da draußen – den Salzsumpf?« Er streckte richtungsweisend den Arm aus. »In zwei Stunden haben wir Ebbe. Das geht hier rasend schnell. Bis zum Abendessen ist praktisch kein Wasser mehr in der Bucht – außer im Kanal. Na, jedenfalls, wenn Sie genau hinschauen, können Sie da draußen im Braun graue Flecken sehen – ja?«
    Ich schaute genau hin und glaubte in der weitausgedehnten braunen Fläche tatsächlich kleine graue kreisrunde Stellen von etwa einem Meter Durchmesser erkennen zu können.
    Ich nickte.
    »Diese grauen Flecken«, erklärte er, »nennen wir hier Honigpötte. Die ziehen einen runter wie Treibsand. Wenn man da drauftritt, steckt man im Nu bis zum Bauch im Schlamm. Da wieder rauszukommen, ist nicht einfach. Und wenn man bei Flut immer noch drin steckt – dann gute Nacht.«
    Er ließ meine Schulter los, zog die Tür auf und drehte sich dann noch einmal nach mir um, wobei er die Tür mit der Schulter offenhielt.
    Er stemmte sich gegen die steife Brise in seinem Rücken und nickte wie zu sich selbst.
    »Sie sind hier sicher«, sagte er.

Willis Beale
    Das schreibt man W-i-l-l-i-s B-e-a-l-e. Ich bin siebenundzwanzig. Ich fahr auf Hummerfang seit ich siebzehn war. Zehn Jahre. Mann, o Mann!
    Mein Boot ist echt Spitze. Ich will ja nicht angeben, aber es ist schon ganz schön schnell. Bei den Bootsrennen, die jedes Jahr am 4. Juli drüben in Jonesport stattfinden, bin ich immer unter den ersten drei. Dieses Jahr hab ich den Zweiten gemacht. Das Boot hat meinem Dad gehört, bevor der sich zur Ruhe gesetzt hat, aber ich hab’s noch ein bißchen aufgemotzt. Mein Fanggebiet ist nordöstlich von Swale’s Island. Da ist schon mein Dad immer auf Fang gefahren und vor ihm mein Großvater. Und jetzt ist es mein Gebiet. Keiner aus dem Dorf traut sich, mir da in die Quere zu kommen. So ist das hier – ein Gebiet wird vom Vater an den Sohn weitergegeben, und dann gehört’s einem praktisch. Wenn ich da draußen einen Wilderer erwische, verknot ich ihm seine Bojenkette. Eine zweite Chance kriegt er nicht. Wenn ich den Mistkerl das nächste Mal erwisch, schneid ich seine Körbe ab. Mein Fanggebiet ist mein täglich Brot. Wenn da einer seine Körbe setzt, ist das ungefähr das gleiche, wie wenn er

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