Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
Jakkett war ein marineblauer Blazer, dazu trug er eine Khakihose. Es war eine Art Uniform. Er lächelte mir zu. Das Lächeln begann an einem Mundwinkel und blieb dort hängen. Wenn Sie es sähen, würden Sie sagen, ein schiefes Lächeln, das Charme verrät, und Charme hatte er wirklich. Aber an diesem Tag verstand ich das Lächeln anders. Er hatte Pläne, die Zeit war knapp, er würde am Morgen nach Israel fliegen.
Ich bin absolut sicher, daß ich schon in dem Moment, als ich aus dem Büro ging, genau wußte, was es geschlagen hatte. So, wie man weiß, daß man nicht genesen wird, wenn man erfährt, daß man eine bestimmte Krankheit hat, oder so, wie man beim Anblick eines bestimmten Hauses in einer bestimmten Landschaft plötzlich denkt: Ja, das ist meins, dort werde ich leben.
Als Büro bekam ich ein Kabäuschen in einem Irrgarten ähnlicher Kabäuschen. Ich hatte ein Telefon, eine Schreibmaschine, einen kleinen Schreibtisch, ein paar Schubladen, ein Bücherregal. Mehr als alles andere ist mir der Lärm im Gedächtnis geblieben, eine ohrenbetäubende Kakophonie von Telefongeklingel und Schreibmaschinengeklapper, akzentuiert von den ratternden Salven der Fernschreiber. Und dennoch konnten meine Nachbarn jedes Wort hören, das ich in meinem kleinen Büro sprach, genauso, wie ich alles hören konnte, was sie sprachen. Obwohl vom Lärm isoliert, hatte man keinerlei Privatsphäre in diesem großen Raum.
Man steckte mich in die Abteilung ›Trauerfälle‹ und gab mir den Auftrag, einen kurzen Nachruf auf Dorothy Parker zu schreiben, die am Tag zuvor gestorben war. Es sollten nur sechs Sätze sein, ein kurzer Abschnitt, und obwohl ich mehr Sorgfalt und Überlegung in die Arbeit steckte, als ich mir später je wieder leisten konnte, war ich vor der Mittagspause schon fertig. Den Rest des Tages mußte ich irgendwie herumbringen. Ich las alte Ausgaben der Zeitschrift. Ich beobachtete die Gesichter um mich herum – die Schwingungen lockerer Kameradschaftlichkeit, von Feindseligkeit, von Eifersucht. An einem einzigen Nachmittag konnte man alles erkennen: Wer Macht hatte und wer nicht, wer sich selbst für wichtig hielt, wem anderes wichtig war. Ich fragte mich, wo ich da hineinpassen würde. Die neuen Kollegen unterhielten sich mit mir, scherzten, stellten Fragen. Ihre Münder lächelten, aber nicht ihre Augen. Selbst die Freundlichsten waren vorsichtig. Sie standen alle unter Druck, und für einige stand viel auf dem Spiel. So erschien es mir damals jedenfalls. Auffallend, die Atmosphäre von Wichtigkeit, die diesen Raum erfüllte – eigenartig, sich jetzt zu erinnern, welches Gewicht damals jede Kleinigkeit zu haben schien.
Und natürlich sah ich auch ihn, jedesmal, wenn er durch die Redaktion ging – zu seinem Büro, das neben dem des Chefredakteurs lag, zu einem Kaffeeautomaten auf der anderen Seite des Großraumbüros, auf dem Weg zum Mittagessen, bei der Rückkehr vom Mittagessen, zum Büro irgendeines Kollegen. Auf jedem dieser Wege war da der Blick en passant , ein kurzes Hinsehen aus dem Augenwinkel, ein schnelles sich Begegnen der Blicke schon in der Abkehr, und ich hatte das Gefühl – nein ich wußte es –, daß ich mit diesen flüchtigen Blicken in einen Pakt einschlug. Und darum nickte ich nur, als er um fünf zu mir an den Schreibtisch kam und etwas von einem gemeinsamen Drink um sechs sagte.
Wir gingen in eine Bar um die Ecke. Sie war voll von Männern in Blazern und locker geknoteten Krawatten. Er kannte die Kneipe gut, trat mit dem Gehabe eines Stammgasts auf, nahm einen Tisch in einer Ecke – ich hatte den Eindruck, daß man ihn eigens für ihn reserviert hatte. Er bestellte einen Gin Martini, ich sagte, ich hätte gern ein Bier. Darüber lachte er, meinte, ich sähe gar nicht aus wie der Typ der Biertrinkerin. Ich fragte leichtsinnig, was für ein Typ ich denn seiner Meinung nach sei, und lieferte ihm damit das perfekte Ziel für einen Schuß mitten ins Schwarze.
Ich sei eine Listenmacherin, sagte er, und niemals unpünktlich, zuverlässig, obwohl ich mich eigentlich lieber treiben lassen würde, würde brav meine Arbeit machen, auch wenn ich nicht mit dem Herzen dabei sei – die Routine sei mir wichtiger als die eigentliche Arbeit. Ich sei zwar schnell und gewandt, aber im Grunde mache mir die Arbeit des Reporters keine Freude: Ich sei eher Zuhörerin als unerbittliche Fragerin. Er vermute, ich würde lieber redigieren, das sei eine stille Arbeit, die man in Ruhe erledigen könne.
Eine
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