Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
Kinderbett auf der Treppe und starrte mich wie gebannt an.
Da fiel es mir wieder ein.
»Ich hatte einen Autounfall«, sagte ich.
»Mann o Mann! Alles wieder in Ordnung? Wo ist das denn passiert?«
»In New York«, antwortete ich. »Kommen Sie rein. Sonst erkältet sich die Kleine.«
Er bugsierte das Kinderbett durch die Tür und fragte, wo ich es haben wolle. Oben, im Schlafzimmer, antwortete ich, wenn das möglich sei.
»Kein Problem«, meinte er.
Ich legte Caroline in ihre Tragetasche, um ihm beim Tragen des Kinderbetts zu helfen, aber er war schon halb die Treppe hinauf, als ich um die Ecke kam. Ich hörte, wie er das Bett aufstellte, hörte das Geräusch der Laufrollen, als er es an seinen Platz schob. Dann stand er schon wieder auf der Treppe und zog eine Packung Marlboro aus seiner Jakkentasche. Er war klein und untersetzt, aber er wirkte kräftig. Beinahe hüpfend, als bewegte er sich zu einem nervösen inneren Rhythmus, kam er die Treppe herunter.
»Stört Sie’s?« fragte er, als er unten angekommen war.
Ich schüttelte den Kopf und ging ihm voraus ins Wohnzimmer.
»Ich heiße übrigens Willis«, sagte er. »Willis Beale. Ich hab Sie gestern im Laden gesehen.«
Ich nickte, die Hand gaben wir einander nicht. »Ich bin Mary«, sagte ich. »Mary Amesbury.«
»Wann ist das denn passiert?«
Ich sah ihn an. Instinktiv hob ich die Hand zum Gesicht, senkte sie aber gleich wieder. »Vor zwei Tagen«, antwortete ich und bückte mich, um Caroline hochzunehmen.
»Ach so«, sagte er. »Ich dachte, es wär vielleicht bei dem Sturm passiert.«
Er hatte rauhe, aufgesprungene Hände, rissige Fingernägel, manche abgebrochen. Seine Jeans war abgetragen, an manchen Stellen durchgescheuert, und auf dem rechten Oberschenkel waren dunkle Ölflecken, wie Kleckse von Fingerfarben. Er ging zu dem großen Fenster mit Blick auf die Landzunge und sah hinaus. Er war unrasiert und schnippte die Asche seiner Zigarette in seine offene Hand. Obwohl er wie von Rastlosigkeit getrieben wirkte, schien er es nicht eilig zu haben zu gehen.
»Das da draußen ist mein Boot«, sagte er. »Das rote.«
Ich blickte zu dem Boot hinaus, das er mir zeigte. Am Heck konnte ich den Namen Jeannine erkennen.
»Ich und zwei andere, wir haben unsere Boote immer hier bei der Landspitze liegen. Der Kanal ist tief, und die Insel da drüben ist ein guter Schutz. Von hier aus ist man schneller im Fanggebiet. Da kann man einen guten Vorsprung rausholen. Mein Vater hat sein Boot auch immer hier liegen gehabt. Und ich hab’s ihm nachgemacht, als ich an die Reihe gekommen bin.«
»Vielen Dank, daß Sie die Straße geräumt haben«, sagte ich. »Und daß Sie mir das Kinderbett gebracht haben.«
»Kein Problem.« Er drehte sich herum, und sein Blick war beinahe erschrocken, als er mein Gesicht wieder sah. Er fröstelte ein wenig. »Kalt da draußen«, sagte er.
»Sie sollten eine wärmere Jacke anziehen.«
»Stimmt, ich hab sogar eine. Die sollte ich anziehen. Aber ich weiß auch nicht, die Jacke hier trage ich tagaus, tagein. Ich bin eben ein Gewohnheitstier. Meine Frau, Jeannine, schimpft deswegen dauernd mit mir. ›Zieh doch deinen Parka an‹, sagt sie immer. Ich weiß, daß sie recht hat. Sie sagt, ich hol mir noch mal eine Lungenentzündung.«
»Das könnte leicht passieren.«
»Wie alt ist Ihre Kleine?« fragte er.
»Sechs Monate.«
»Niedlich.«
»Danke.«
»Ich hab auch zwei Kinder, vier und zwei. Jungs. Meine Frau, Jeannine, die hätte für ihr Leben gern ein Mädchen. Aber jetzt haben wir erst mal Sendepause. Die haben uns im letzten Sommer den Hummerpreis gesenkt. Knappe Zeiten. Sind Sie allein hier oder was? Kommt Ihr Mann nach?«
»Nein«, antwortete ich. »Ich bin jetzt allein.«
Das »jetzt« war mir unversehens herausgerutscht. Er hörte es und hakte sofort ein.
»Sie haben ihn also verlassen?«
»So könnte man sagen.«
»Herrje! Und das mitten im Winter. Den ganzen Winter wollen Sie allein bleiben?«
»Ach, ich weiß nicht«, antwortete ich unbestimmt.
Er beugte sich zu Caroline hinüber und kitzelte sie unter dem Kinn. Er sah sich nach einer Möglichkeit um, seine Zigarette auszudrücken, fand nichts, ging zum Spülbecken und drehte das Wasser auf. Er machte den Schrank unter der Spüle auf und warf den Stummel in den Ascheneimer. Dann lehnte er sich mit verschränkten Armen an die Arbeitsplatte. Wahrscheinlich, dachte ich, erwartet er jetzt eine Tasse Kaffee als Lohn für das Schneeräumen. Vielleicht war das hier
Weitere Kostenlose Bücher