Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
Gesicht war so grau wie sein Haar, das straff aus der Stirn gekämmt war, altmodisch, wie die Männer früher einmal ihr Haar getragen hatten. Man sah auf den ersten Blick, daß er nicht mehr gesund war, schon eine ganze Weile nicht mehr. Er hatte die gleichen Augen wie Harrold, schwarz und undurchdringlich, die einen ganz plötzlich mit einem scheinbar gleichgültigen Blick einfangen konnten. In der stark zitternden Hand hielt er eine Zigarette, seine Finger waren von Nikotin gebräunt. Er saß in einem wuchtigen Lehnstuhl aus dunkel gebeiztem Holz, der sich beinahe um ihn zu schließen schien, und trug einen korrekten grauen Anzug, der ihm zweifellos einmal gepaßt hatte, jetzt aber lose um den ausgezehrten Körper schlotterte.
Ich erinnere mich an eine Haushälterin, die am Fenster stand. Harrold ging bis zur Mitte des Zimmers, doch seinem Vater näherte er sich nicht. Ich hatte den Eindruck, daß sie seit Jahren keine Berührung mehr getauscht hatten und es auch jetzt nicht tun konnten. Harrold drehte sich herum und sah mich an – ich stand hinter ihm –, als wünschte er, ich würde hinausgehen, als wäre sein Vater etwas, das ich nicht sehen durfte, oder umgekehrt. Er wirkte unsicher und verwirrt. So hatte ich ihn nie erlebt – klein, wie geschrumpft. Jetzt war sein Vater der Imposantere. Ich trat neben Harrold. Er machte mich mit seinem Vater bekannt. Ich ging auf den alten Mann zu und gab ihm die Hand. Die seine war gelblich, trocken wie Staub.
»Hol uns doch was zu trinken, Harry, ja«, sagte Harrolds Vater. Es war keine Frage. Harry, nannte er seinen Sohn. Harrold wurde nie Harry gerufen, höchstens ab und zu mal »English«. Von einem Kollegen oder dem Chefredakteur: »Hey, English«, pflegten sie zu sagen.
Harrold ging zur Kredenz und nahm ein Glas. Er schenkte seinem Vater einen großen Scotch ein, dann auch mir einen. Ich war nicht aufgefordert worden, Platz zu nehmen, ich setzte mich trotzdem auf ein Ledersofa. Der Raum war nicht wohnlich, dennoch schien sein Vater hier drinnen zu leben. Es war ein Arbeitszimmer, Leder und Holz und maskuline Strenge. Aber am Fenster stand eine Chaiselongue mit einer Wolldecke darüber. Durch das Fenster konnte man das Meer sehen. Das Haus war still, reglos, Staubflöckchen schwebten in der Luft.
»So, so, Sie schreiben also auch für dieses Käseblatt«, sagte sein Vater zu mir. Ein metallisches Klirren schwang in seiner Stimme, das aus Fragen Feststellungen machte.
Harrold, der immer noch bei der Kredenz stand, hatte seinen Whisky bereits hinuntergekippt und sich einen zweiten eingeschenkt. Ich war sicher, daß sein Vater das beobachtet hatte. Man hatte das Gefühl, daß diesen Augen nichts entging, wenn auch der Körper unbeweglich war.
Ja, antwortete ich, das sei richtig, ich arbeite mit Harrold zusammen. Aus reiner Nervosität und weil Harrold bisher noch kein Wort gesagt hatte, bemerkte ich, nur um das Schweigen zu brechen, ich hätte schon viel von ihm gehört, was nicht stimmte, hätte auch von der Textilfabrik gehört, die er aus dem Nichts aufgebaut hatte, was stimmte, Harrold hatte es mir irgendwann en passant erzählt.
»Er hätte die Firma übernehmen können, wenn er gewollt hätte, aber jetzt ist sie in fremden Händen«, sagte der Vater, als wäre der Sohn nicht im Raum. Die Bitterkeit seines Tons war nicht zu überhören.
»Wir heiraten«, warf Harrold hastig ein, ein kleiner Schuljunge in Gegenwart seines Vaters, der nur das Thema wechseln wollte, und es gab mir innerlich einen Stich, daß er den eigentlichen Anlaß unseres Besuchs auf diese Weise benutzte.
Sein Vater schwieg. Ich hielt es für möglich, daß Harrold ihn mit seiner Nachricht so plötzlich überrascht hatte, ihn nie auf diese Möglichkeit vorbereitet hatte, und daß er nun verständlicherweise zunächst einmal sprachlos war.
Dann aber sprach sein Vater doch.
»Ihr könnt zum Abendessen bleiben, wenn ihr wollt«, sagte er, »aber ihr werdet ohne mich auskommen müssen. Ich nehme meine Mahlzeiten jetzt immer allein ein.«
Ich warf Harrold einen Blick zu, aber er wandte sich von mir ab und sah zum Wasser hinaus. Vielleicht ist sein Vater schwerhörig, dachte ich. Die Schwerhörigkeit wäre eine Erklärung für seine Ungezogenheit. Wenn er nicht gehört hatte, was sein Sohn gesagt hatte, würde ich es eben noch einmal sagen und ihn zu unserer Hochzeit einladen. Ich würde es laut sagen, und dann würde er es schon verstehen. Aber als ich den Mund öffnete, um zu sprechen,
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