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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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du.«
    Ich kannte ihn damals drei Monate, vielleicht auch vier.
    An diesem Tag ging ich in meiner Mittagspause in ein Kaufhaus und kaufte zwei Röcke, die kürzer waren als meine anderen. Und als ich der Frau an der Kasse das Geld gab, dachte ich auf einmal: Er verändert mich. Oder vielmehr: Er will mich anders haben als ich bin.
    Ungefähr zu dieser Zeit begann er, mir Geschenke zu machen. Harrold hatte Geld und pflegte mir Überraschungen aus Europa oder Kalifornien mitzubringen. Aus Thailand oder Saigon. Anfangs war es Schmuck, manchmal ein Kleidungsstück. Dann vor allem Kleidungsstücke – aus wunderschönen, teuren Stoffen, die ich mir nie hätte leisten können und mir selbst auch nicht gekauft hätte. Sie waren ganz anders als alles, was ich zu tragen pflegte – sie wirkten sinnlich und exotisch. Ich zog sie an, um ihm eine Freude zu machen, und schien mich in ihnen zu verändern, schien die Frau zu werden, die er sich vorgestellt hatte.
    Und dann kamen die Dessous. Er brachte mir gewagte kleine Teile aus Paris oder dem Orient mit. Ich müsse sie ins Büro tragen, sagte er, und nur er werde davon wissen. Und um das leise Unbehagen zu beruhigen, sagte ich mir: Das ist doch ganz harmlos und lustig.
    Er sagte, ich solle mich gerade halten, ich solle nicht dauernd die Hände falten, ich soll es mir abgewöhnen, ständig nervös an meinem Haar herumzuspielen.
    Er erklärte, ich sage dieses alles nur zu deinem eigenen Besten. Weil ich dich liebe. Weil du mir wichtig bist.
    In der Redaktion war er mein Mentor. Ich besaß nur eine bescheidene Begabung, aber er nahm mich bei der Hand. Es war aufregend, bei ihm in die Lehre zu gehen. Er besaß Macht, und das fand ich manchmal unwiderstehlich. Wenn ich etwas geschrieben hatte, sah er es sich abends in der Bar an und machte Verbesserungsvorschläge. Wenn ich bei einer Recherche mit meinem Latein am Ende war, wußte er unweigerlich jemanden, den man anrufen konnte, eine zuverlässige Quelle. Er erklärte mir, wie ich mich Vorgesetzten gegenüber verhalten sollte – was ich offenlegen, was ich zurückhalten sollte. Einmal, als ich krank war, schrieb er einen Bericht für mich; sogar in meinem Stil.
    Er sagte, ich solle es ablehnen, nur über Trends zu schreiben. Ich sagte nein, dann würde ich meine Stellung verlieren. Aber er trieb und drängte mich solange, bis ich eines Tages tat, wozu er mir geraten hatte, und ich verlor meine Stellung nicht. Ich stieg eine Stufe höher in die Landesnachrichtenredaktion auf und bekam sogar ein größeres Kabäuschen.
    Ich nahm alles an, was er mir anbot und fügte mich dafür stillschweigend seinen Plänen. Genau wie es dem Pakt entsprach, in den ich eingeschlagen hatte.
    Wir waren seit einem Jahr zusammen, vielleicht auch ein wenig länger. Ich war vor ihm nach Hause gekommen. Ich saß in der Küche am Tisch und las die Zeitung. Ich hatte keine Lust auf einen Drink. Ich war nicht in die Bar gegangen, um mich mit ihm zu treffen. Ich hatte Kopfschmerzen. Tatsächlich hatte ich die Grippe, aber das wußte ich noch nicht. Ich hörte ihn im Flur und hörte auf zu lesen. Ich hörte seinen Schlüssel im Schloß, seine Schritte in der Diele. Überrascht wurde ich mir bewußt, daß ich ihn gar nicht sehen wollte. Ich wollte allein sein. Brauch ich einen Grund? Ich war müde. Ich wollte nichts geben müssen – auch nichts nehmen müssen. Zum erstenmal seit wir uns kennengelernt hatten ging mir das so.
    Er kam in die Küche, und er muß es gemerkt haben. Vielleicht daran, daß ich gar nicht aufsah, sondern meinen Blick auf die Zeitung gerichtet hielt. Irgend etwas in mir wehrte sich gegen sein Eindringen.
    Er zog sein Jackett aus und hängte es über eine Stuhllehne. Er lockerte seine Krawatte und knöpfte seinen Kragen auf. Er stemmte die Hände in die Hüften und sah mich an. »Möchtest du was trinken?« fragte er, und ich sagte: »Nein, ich hab Kopfschmerzen.« »Na, dann trink doch einen Schluck«, sagte er, »das hilft gegen die Kopfschmerzen.« Und ich sagte wieder: »Nein. Danke.«
    Er trat hinter mich und legte seine Hände auf meine Schultern. Er begann, die Muskeln in meinem Nacken zu massieren. Ich hätte mich ihm zum Gefallen entspannen sollen, aber ich konnte nicht. Ich verstand diese Geste genau. Er würde mich auch dann berühren, wenn ich es nicht wollte. Dann erst recht.
    Ich bemühte mich, ruhig sitzenzubleiben, mich weich zu machen und mich damit zu trösten, daß es bald vorbei sein würde. Aber er bearbeitete die

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