Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
sie so zu verletzen.«
Er hatte das beinahe augenblicklich begriffen und versucht, mit seinem Vater darüber zu sprechen. Aber sein Vater war ein harter Mann, war immer hart gewesen, sagte Harrold – hart zu Hause und hart im Geschäft.
»Ich hasse ihn«, sagte er. »Komm, laß uns hier verschwinden.«
Wir fuhren schweigend nach New York zurück. Die drei schnellen Drinks mitten am Tag hatten Harrold nicht betrunken gemacht, nur stumm, beinahe mürrisch. Ich war enttäuscht, auch um meinetwillen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich hatte gehofft, es würde alles eitel Freude sein, wie das bei anderen Leuten immer zu sein schien. Ich konnte mir nicht vorstellen, jetzt noch kirchlich zu heiraten. Das hätte nicht gestimmt. Aber heiraten würden wir. Das schien unvermeidlich.
Ich sagte, ich würde nach Chicago fliegen, um meine Mutter von unserer bevorstehenden Heirat zu unterrichten. Ich fragte ihn gar nicht erst, ob er mitkommen wolle. Ich wußte, er würde es nicht tun.
War das nun der Grund? Der Grund dafür, daß der Mann, den ich liebte, so verbogen war, so zornig und brutal? Und wenn ja, verzeihen wir ihm dann seine Brutalität?
Aber was war dann der Grund für die Brutalität und eisige Kälte seines Vaters? Die Sünde des Vaters eines Vaters? Ein Erbe, das ich jetzt demontiert habe?
Ich bemühe mich, Ihnen die Wahrheit zu sagen. Sie sollen verstehen, wie es war – wie es kam, daß ich blieb, daß ich Harrold für mich wollte und an uns glaubte. Später, ja, da hatte ich Angst zu gehen, das war einfach. Aber zu Beginn, als es mir noch möglich gewesen wäre zu gehen, ein Ende zu machen, da wollte ich nicht.
Ich habe Harrold geliebt. Ich habe ihn wirklich geliebt. Selbst an dem Tag noch, als ich ging, selbst dann noch, als meine Angst vor ihm am größten war.
Heute frage ich mich, war das etwas Krankes in mir? Oder war es das Beste in mir?
Heute morgen habe ich Ihren Brief bekommen. Ich wußte, daß es Sie überraschen würde, von mir zu hören und die Aufzeichnungen zu erhalten. Ich sehe Sie vor mir, wie Sie an Ihrem Schreibtisch das Päckchen in Empfang nehmen. Ich stelle mir Ihre Verwunderung beim Blick auf die erste Seite vor, Ihre stumme Frage, was das denn ist, Ihr Gesicht, wenn es anfängt zu dämmern und Sie begreifen, daß Sie nun doch Ihre Story haben, eine Story, die Hand und Fuß hat, und all die Vorarbeit, die Sie in Maine geleistet haben, nicht umsonst war.
Ich sehe Sie in Rock und weißer Bluse an Ihrem Schreibtisch sitzen. Die Schuhe haben Sie wegen der Hitze ausgezogen. Ihre Kostümjacke hängt hinter Ihnen über der Stuhllehne. Mit gesenktem Kopf sitzen Sie da und lesen, was ich geschrieben habe. Die Stirn haben Sie in eine Hand gestützt. Sie sind völlig konzentriert. Das blonde Haar, das Sie mit Libellen zurückgenommen haben, fällt hinter Ihren Ohren herab. Vielleicht ziehen Sie eine Libelle heraus und fahren sich beim Lesen mit der Hand aufgeregt durchs Haar.
Später dann, beim Mittagessen, genehmigen Sie sich vielleicht ein Glas Wein. Sie stecken voller Ideen, wie Sie die Geschichte schreiben werden. Sie sind sicher, jetzt die Titelgeschichte in der Tasche zu haben. Alles andere ist ausgeschlossen. Aber Ihr Timing muß stimmen. Der Knackpunkt ist das Urteil. Die Story muß vor dem Urteil erscheinen, sonst ist sie schnell überholt. Und vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, denken Sie, daß diese Story das Sprungbrett zu einer wirklich glanzvollen Karriere sein wird, daß Sie durch sie alle anderen überflügeln werden und der Welt zeigen können, wie gut Sie wirklich sind. Sie hat Saft und Kraft, und Sie sind überzeugt, daß Sie ihr gerecht werden können.
Und trotzdem glaube ich nicht, daß es Ihnen überhaupt möglich ist, die Wahrheit zu erfassen oder zu schreiben. Am Ende nämlich werden Sie einen Bericht haben, der auf Ihren eigenen Ideen basiert, den Sie notwendigkeitshalber beim Schreiben überarbeitet haben, und der schließlich noch einmal von Ihren Vorgesetzten bearbeitet werden wird. Und diese letzte gedruckte Fassung der Story wird von jedem Leser, ob Mann oder Frau, anders gelesen und wahrgenommen werden, je nach seinen eigenen Lebensverhältnissen, so daß am Ende, wenn all die Zeitschriften in den Müll wandern und Sie schon Ihrer nächsten Story nachjagen, niemand auch nur eine Ahnung von meiner Geschichte haben wird, wie sie wirklich war.
Wir heirateten in diesem Winter. Meine Mutter kam und strahlte, obwohl wir nicht kirchlich getraut
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