Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
Vom Netzwerk:
dieses neue Selbst, das mir angeboten wurde, vorbehaltlos zu übernehmen, auch wenn ich die teuren Dessous trug, meine Röcke kürzte, begierig auf jeden seiner Ratschläge hörte?
    Immer nämlich war da etwas in mir, noch unerkannt und unerkennbar, das sich dagegen wehrte, geformt zu werden. Anfangs schien es, als wäre dieser Widerstand Laune, die mich bloß selbst verwirrte, beinahe gegen mein Wollen und Wünschen auftrat.
    Und später, als ich mich endlich wirklich wehrte, antwortete er darauf mit einem schier unerschöpflichen Repertoire der Bestrafung: Mit feiner Verachtung, verschleiertem Spott, eisigem Schweigen, Abwesenheit, Anwesenheit, Abwesenheit. Er war ein Könner, ein Virtuose, der alle Register zu ziehen wußte.
    Aber ich greife vor.
    Es gab auch schöne Zeiten, hab ich davon schon erzählt? Am Küchentisch pflegte er mir von seinen Reisen zu erzählen, wunderbare Geschichten von Mißgeschicken und komischen Abenteuern, deren Protagonisten mit seiner Beschreibung lebendig wurden. Er war ein begabter Erzähler und sparte all die Kleinigkeiten, die er in seinen Berichten nicht unterbringen konnte, für mich auf, so daß ich, wenn er von einer langen Reise nach Hause kam, tagelang Unterhaltung hatte.
    Manchmal lagen wir auch nebeneinander, Arm an Arm, im Wohnzimmer auf dem Boden, die Köpfe auf Sofakissen und hörten irgendeiner Musik zu, die er ausgewählt hatte. Dazu rauchten wir vielleicht oder tranken den Wein, den wir aus dem Schlafzimmer mitgenommen hatten, und in diesen Augenblicken schien uns ein trügerisches Gefühl vollkommenen Behagens zu verbinden.
    Und manchmal, als die anderen noch nicht von unserer Beziehung wußten, kam es vor, daß wir an einem großen ovalen Konferenztisch in einem Besprechungsraum der Redaktion saßen und alle wie die Wilden über ein Titelblatt oder die Idee zu einem Artikel diskutierten, bis plötzlich jemand eine unfreiwillig komische Bemerkung machte, worauf ich den Kopf drehte, als wollte ich auf die Uhr sehen oder zum Fenster hinaus und dabei seinen Blick auffing, die kaum merklich erhobene Braue oder den hochgezogenen Mundwinkel sah. Und in diesem kurzen Moment teilten wir ein unsichtbares Lächeln miteinander, dessen Wärme den ganzen Vormittag vorhielt.
    Nach seiner Rückkehr aus Prag sagte er, wir würden nach Rhode Island fahren, um seinem Vater mitzuteilen, daß wir die Absicht hatten zu heiraten. Er hatte nie viel von seinem Vater gesprochen, ich wußte allerdings, daß dieser den gleichen Namen trug, ebenfalls mit Doppel-R geschrieben. Der Name war seit Generationen in der Familie. Dieses Doppel-R war vielleicht einmal reine Affektiertheit gewesen oder hatte sich infolge eines Schreibfehlers eingeschlichen, jetzt aber war es so fester Bestandteil des Namens, daß Harrold, mein Harrold, sich nicht dazu entschließen konnte, das überzählige »R« wegzulassen – obwohl er selbst seinen Ursprung nicht kannte.
    Das Haus stand direkt am Meer, ein hohl hallendes Haus mit lauter leeren Räumen, Prototyp der großen leeren Wohnung in Manhattan. Viktorianisch oder Jahrhundertwende, ich weiß es bis heute nicht mit Sicherheit. Es hatte graue Schindeln, eine Veranda und viele unterschiedlich große Fenster. Die wenigen Möbel drinnen waren wuchtig, dunkel, streng. Schon als wir die Auffahrt hinauffuhren, spürte ich die starke Veränderung, die in Harrold vorging. Er wurde ruhig, schweigsam. Er drehte das Radio aus. Seine Stirn war gerunzelt, sein Mund wirkte angespannt. Noch ehe wir angehalten hatten, sagte er, es sei keine gute Idee gewesen, hierher zu kommen. Unsinn, widersprach ich, ich könne es kaum erwarten, seinen Vater kennenzulernen.
    Bei unserem Aufbruch in New York waren wir fast wie besessen gewesen von einer wilden Freude, als wären wir dabei, die Jalousien hochzuziehen, um Tageslicht in dunkle Räume strömen zu lassen. Vielleicht, dachten wir, sprachen es aber nicht aus, würden wir doch noch den Anschluß an die Welt um uns herum finden, indem wir heirateten. Nach jenem Abend in der Küche war so etwas wie ein Streben nach Normalität dagewesen. Am Vortag, gleich nach Harrolds Rückkehr aus Prag, hatten wir den Kollegen in der Redaktion mitgeteilt, daß wir heiraten würden. Und wir hatten beide mehr noch als die Ankündigung selbst die Überraschung auf den Gesichtern genossen.
    Harrolds Vater war ein verschrumpelter alter Mann. Früher einmal war er massig gewesen wie Harrold, jetzt aber war er geschrumpft, in sich zusammengesunken. Sein

Weitere Kostenlose Bücher