Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
sagte: »Komm ins Bett.«
Ich wollte nicht ins Bett, ich hatte anderes zu tun. Ich war voller Neuigkeiten und Pläne und wollte alle möglichen Leute anrufen. Aber ich dachte: Er braucht jetzt ein bißchen Aufmerksamkeit. Ich kann meine Mutter ja später anrufen.
Ich setzte mich auf die Bettkante und begann meine Bluse aufzuknöpfen. Ich hatte das Gefühl, zart mit mir umgehen zu müssen. Sie werden lachen, aber ich empfand mich als ein zerbrechliches Gefäß. Es war ein köstliches Gefühl, etwas Besonderes zu sein, und ich genoß es, während ich langsam, träumerisch meine Bluse öffnete und dabei nicht an Harrold dachte, sondern an das Kind in mir.
Dann sah ich auf. Er stand über mich gebeugt. Er hatte noch alle seine Kleider an. Er war wütend. Seine Augen waren schwarz und glashart. Ich stemmte die Hände hinter mich aufs Bett, um von ihm wegzurutschen, aber er packte mich bei der Bluse und hielt mich fest.
Ich werde Ihnen nicht erzählen, was er mit mir getan hat. Sie brauchen nicht alle Einzelheiten. Es muß reichen, wenn ich Ihnen sage, daß er mir das Gesicht mit der Hand zur Seite stieß, als wollte er es ausradieren, und daß er alles, was er tat, mit einer so wilden Wut tat, als wollte er das Kind aus mir herausschütteln. Als es vorüber war, rollte ich mich auf meiner Seite des Betts zusammen und wartete die ganze Nacht darauf, daß ich das Kind verlieren würde. Aber es blieb bei mir – starkes Mädchen.
Am Morgen packte er mich in Decken, nahm mich in die Arme, brachte mir Tee und Toast und sagte, wir würden jetzt meine Mutter anrufen, und in der Redaktion würde die Neuigkeit bestimmt wie eine Bombe einschlagen.
Es geschah immer wieder während meiner Schwangerschaft, bestimmt vier- oder fünfmal. Ich wußte damals nicht und weiß heute nicht, warum die Schwangerschaft ihn so wütend machte – obwohl er es immer leugnete und behauptete, er wäre nie glücklicher gewesen. Vielleicht fühlte er sich verdrängt oder meinte, er verlöre nun für immer die Kontrolle über mich. Ich weiß es nicht.
Er wurde nur aggressiv, wenn er getrunken hatte. Dann kam er irgendwann spät aus der Bar nach Hause, und ich hatte Angst vor ihm. Ich achtete sorgfältig darauf, ihm fernzubleiben, aber manchmal half auch das nichts. Ich brauchte nur im Lauf des Abends ein falsches Wort oder einen falschen Satz zu sagen, und dann ging es los. Hinterher war er jedesmal voller Reue und tief besorgt um mein Wohl. Dann machte er mir Geschenke und Versprechungen.
Ich glaube, er konnte einfach nicht anders. Ich hatte ihm eine Tür geöffnet, die er nicht mehr schließen konnte. Ich glaube, manchmal wünschte er verzweifelt, sie zuzuschlagen, aber er konnte es einfach nicht. Indem er mich zu beherrschen suchte, verlor er die Beherrschung über sich selbst. Er leugnete es, oder versuchte jedenfalls, es zu leugnen. Er war wie ein Alkoholiker, der die Flaschen im Schrank versteckt: er verdrängte. Wenn man die blauen Flecken in meinem Gesicht, an meinen Armen und Beinen nicht sehen konnte, dann hatte er es auch nicht getan. So lebten wir. Einmal, als er mich morgens aus der Dusche kommen sah, fragte er, ob ich gestürzt sei.
Ich meldete mich krank, wenn ich nicht in die Redaktion gehen konnte. Dann nahm ich meine Schwangerschaft als Vorwand und ging überhaupt nicht mehr hin.
Im Februar war ich im fünften Monat schwanger. Als ich zum Arzt ging, sagte der: »Was ist denn das?« Es war ein Bluterguß, ein dicker schwarz-blauer Streifen auf meinem Oberschenkel. Am Gesäß hatte ich auch einen, aber den konnte er nicht sehen. Ich erklärte, ich wäre auf der vereisten Treppe vor meinem Haus ausgerutscht, und er sah mich an. Er sagte, wenn ich noch einmal stürzte, soll ich sofort anrufen. Dann müsse er mich untersuchen. Nach diesem Besuch ging ich eine ganze Weile nicht mehr zu ihm. Wie hätte ich ihm sagen können, daß ich schon wieder ausgerutscht war?
Gegen Ende der Schwangerschaft rührte Harrold mich nicht mehr an. Ich wurde sehr dick, nahm stark zu, und ich glaube, er fand mich beängstigend. Das war die einzige Zeit, in der ich je vor ihm sicher war, in diesen zwei Monaten. Ich arbeitete damals schon nicht mehr, ich blieb meistens zu Hause. Oder ich ging im Park spazieren und sprach mit meinem Kind. Meistens ging es darum, daß ich mir wünschte, die Schwangerschaft würde nicht enden. Bleib in mir, flüsterte ich. Bleib in mir.
Harrold war distanziert, vielbeschäftigt. Er war tagelang und dann wochenlang
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