Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
Karriere würde das nicht förderlich sein: Ich würde mich damit begnügen müssen, fremde Berichte zu überarbeiten, anstatt selbst zu berichten. Nie würde mein Name unter den Artikeln stehen.
Ein paar Monate lang schlug er mich nicht mehr, aber es gibt verschiedene Arten der Mißhandlung, und sie braucht nicht immer körperlicher Art zu sein. Die Gewalt der anderen Art war manchmal schlimmer als Schläge. Sie war heimtückischer, und er war sehr geschickt. Ich verstand das alles nicht ganz, und ich glaube, er auch nicht. Es war etwas, das er einfach nicht lassen konnte.
Wenn man geschlagen wird, fühlt man sich hinterher beinahe wie befreit. Plötzlich hat man nämlich Macht, weil er nicht leugnen kann, was er getan hat. Er kann einen nur von neuem bedrohen, und das wird er auch tun, aber er hat etwas von seiner Macht eingebüßt. Denn es ist klar, daß man, auch wenn man es nie tun würde, jetzt zur Polizei gehen oder Dritten erzählen könnte, was er getan hat. Schaut her, könnte man sagen, was er mir angetan hat. Aber wenn die Gewalt unsichtbar bleibt, erfährt niemand etwas. Diese Gewalt ist intimer als Sex, über sie wird nie gesprochen. Sie ist das finsterste Geheimnis, das Band, das Täter und Opfer aneinanderfesselt.
Unser Eheleben hatte ein Muster. Ein, zwei Tage, vielleicht sogar eine Woche lang waren wir einander nahe, dann schöpfte ich Hoffnung, glaubte, das Schlimmste wäre vorüber, und wir würden doch noch glücklich werden und Kinder bekommen. Bis wir uns eines Tages – vielleicht weil er über einem schwierigen Text saß oder ich im Zorn die Stimme erhoben hatte oder weil die Ionen in der Luft verrückt spielten – ich weiß es auch nicht – schlagartig voneinander entfernten, und ich in dieser Atmosphäre der Distanz zaghaft und furchtsam wurde. Er spürte das, und es paßte ihm nicht. Alles an mir gab plötzlich Anlaß zu Kritik. Ich sei immer so gereizt, sagte er. Oder, andere fänden mich giftig. Oder, ich solle versuchen, ein bißchen mehr zu lachen, lockerer zu sein. Ganz gleich, was es war – ich hatte tausend Fehler. Unmengen. Und wenn ich fragte warum, antwortete er immer das gleiche: Er sage das, weil er mich liebe, weil ich ihm so wichtig sei.
In diesen Phasen kalter Distanz entwickelte sich bei mir heftige Wut, das, was er mir vorgeworfen hatte, wurde wahr. Ich war wirklich ständig gereizt, ich lachte selten. Die Wut fraß alle Freude auf, zersetzte ein Leben. Es ist ein Trugschluß zu behaupten, daß Wut stark macht. Sie ist wie eine auslaufende Flut, die einen entleert zurückläßt.
Und dieser Rhythmus eines ständigen Auf und Ab prägte unser Leben: Der trügerische Frieden, die Wut, sein spöttisches »Schau dich doch an«, die Tränen, mein Schweigen.
Ich sagte mir, ich würde ihn verlassen. Ich überlegte, wie ich es anstellen sollte, wohin ich mich wenden könnte.
Heute sage ich mir, daß ich ihn verlassen hätte, wenn ich nicht schwanger geworden wäre.
Ich machte den Test am Morgen, hob mir aber die Neuigkeit für den Abend auf. Ich hatte die Hoffnung, daß die Schwangerschaft die Zeiten der Distanz für immer beenden würde.
Ich hatte eine Flasche Champagner gekauft, wir hatten seit Ewigkeiten keinen Champagner mehr getrunken. Ich kochte zum Abendessen etwas, das er gern aß, stellte Kerzen auf den Tisch. Gleich als er den Tisch sah, wußte er, daß etwas Besonderes los war, und fragte. »Heraus mit der Sprache«, sagte er. »Was gibt’s?« Und ich sagte: »Wir bekommen ein Kind.«
Er küßte mich und legte seine Hand auf meinen Bauch. Er schien glücklich zu sein. Ich war wie beschwipst: Alles würde gut werden. Nach dem Essen wollte ich meine Mutter anrufen. Er machte den Champagner auf, und wir tranken auf das Kind.
Ich wollte nicht viel trinken, er trank die Flasche fast allein. Einmal fragte er beim Essen: »Und was wird aus deiner Arbeit?« und ich sagte, ich würde aufhören, wenn es soweit wäre. »Und was wird aus uns?« fragte er, und ich antwortete: »Es wird besser werden – Kinder bringen einen zusammen.« Ich sah, wie sein Gesicht sich verdunkelte, aber ich hielt diese Reaktion für normal: Es war nur natürlich, daß ein Mann sich Sorgen machte, wenn ein Kind kam.
Ich trocknete in der Küche das Geschirr und überlegte, wie ich es meiner Mutter sagen würde, als ich ihn plötzlich in der Tür stehen sah. Er hatte sich umgezogen, trug ein T-Shirt. Er trank jetzt irgend etwas anderes, den Champagner hatte er beim Essen ausgetrunken. Er
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