Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
ein Sortiment von Taschenbüchern, die von gescheiterter Liebe erzählten. Ich suchte mir drei aus: Anna Karenina , Ethan Frome , Die Geliebte des französischen Leutnants . Danach kaufte ich noch ein Tragetuch und zwei Geschenke für meine Tochter: ein Band voll aufgefädelter kleiner Spielsachen, das man quer über das Kinderbett spannen konnte, und eine flauschige gelbe Ente, der ich nicht widerstehen konnte. Als ich an der Kasse die Ente auf die Theke stellte, schoß mir der Gedanke durch den Kopf, daß auch ich, genau wie Harrold, mein Erbe mitbekommen hatte: Ich war jetzt allein mit meiner Tochter. Stand so allein mit meiner Tochter da wie früher meine Mutter. Die Frau an der Kasse, sie hätte eine Schwester der Wirtin vom Gateway sein können, mußte mich zweimal um das Geld bitten.
Als ich mit dem Kind und meinen Einkäufen in den Armen zum Wagen ging, fragte ich mich, war Harrold jetzt tat. Ganz sicher war er nicht gleich zur Polizei gegangen, er mußte ja fürchten, daß ich dann erzählen würde, was sich abgespielt hatte. Nein, er versuchte wahrscheinlich auf andere Weise, sich Informationen zu beschaffen. Er würde Redaktionskolleginnen anrufen, die ich näher gekannt hatte, er würde meine Nachbarin ausfragen, er würde unser Bankkonto überwachen. Ich glaubte nicht, daß er meine Mutter anrufen würde. Er konnte sich denken, daß ich nicht wieder zu ihr geflohen war. Und nach einer Weile, wenn ich weiterhin verschollen blieb, würde er vielleicht einen Privatdetektiv anrufen, den er vom Studium kannte und der manchmal bei einer Reportage für ihn recherchierte. Er würde natürlich sehr vorsichtig sein, sich vorher genau überlegen, was er sagen würde. In kumpelhaft vertraulichem Ton würde er erklären, er befände sich in einer etwas heiklen Situation, ob der alte Freund ihm nicht helfen könne. Er würde behaupten, ich hätte eine Reise unternommen und wäre nicht zurückgekehrt, und er mache sich nun Sorgen, daß mir etwas zugestoßen sei. Er würde dem Mann sagen, er wolle keinen Wirbel, wir hätten eine kleine Meinungsverschiedenheit gehabt, und ihm käme es einzig darauf an, zu wissen, wo ich war. Er würde seinen alten Freund bitten, mir nichts zu verraten. Er wolle selbst zu mir fahren, würde er sagen, und würde mich mit ein bißchen gutem Zureden schon dazu bringen, wieder nach Hause zu kommen – »du kennst ja die Frauen«, würde er sagen, und sie würden einhellig lachen, und einer von beiden würde sagen, hör zu, laß uns einen zusammen trinken, wenn du in der Nähe bist.
Er würde nicht sagen, daß ich sein Kind entführt hatte. Noch nicht. Das war ja sein Trumpf, das As, das er noch im Ärmel hatte. Das würde er sich für später aufheben, für den Fall, daß ich zur Polizei ging, bevor er mich gefunden hatte. Was denn schon ein paar Ohrfeigen unter Erwachsenen im Vergleich zu einer Kindesentführung seien, würde er argumentieren.
Vor dem Fischhaus standen drei Wagen, als ich aus Machias zurückkam. Einen erkannte ich, einen roten Pick-up mit einer goldenen Verzierung unter dem Fenster auf der Fahrertür. Und kaum war ich ins Haus gegangen und hatte Caroline niedergelegt, klopfte es schon. Vor mir stand Willis mit einem Päckchen in den Händen. Unser Gespräch habe ich folgendermaßen in Erinnerung:
»Ich hab Ihnen ein bißchen Fisch mitgebracht«, sagte er und ging schnurstracks zur Küche: »Schellfisch. Heute morgen gefangen. Nicht von mir. André LeBlanc hat ihn rausgezogen.«
Ich nahm ihm das Päckchen ab. Er schob die Hände in die Hosentaschen und zog unter seiner Jeansjacke die Schultern zusammen. Er sah aus, als wäre ihm eiskalt. Ich sagte, ich müßte noch ein paar Sachen aus dem Wagen holen.
»Bleiben Sie, wo Sie sind«, befahl er. »Ich hol sie Ihnen schon.«
Und ehe ich etwas entgegnen konnte, war er zur Tür hinaus.
Er brachte alle Tüten aus dem Resteladen und das Wäschebündel aus dem Waschsalon herein. Ich sah, daß er dieselbe Jeans trug wie am Tag zuvor, denselben dunkelblauen Pulli.
»Ich muß jetzt die Kleine hinlegen«, sagte ich und dachte, jetzt würde er gehen.
Aber er sagte nur: »Kein Problem«, ging zum Fenster und schaute zum Kap hinaus.
Ich legte Mantel und Schal ab und trug Caroline nach oben. Ich setzte mich aufs Bett und stillte sie, und als sie satt war, legte ich sie in ihr Kinderbett und deckte sie zu. Unter mir hörte ich seine Schritte, das Geräusch der Kühlschranktür, die geöffnet wurde, das Scharren eines Stuhls auf dem
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