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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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gemacht haben. Aber das Tempo ist schon ein ganz anderes hier. Diese Adrenalinschübe kriegt man hier nicht. Bücher haben einen ganz anderen Werdegang: Man sieht die Autoren viel seltener, manchmal fast überhaupt nicht. Und man muß eine Story wirklich lieben. Man hat ja monatelang mit ihr zu tun, manchmal sogar jahrelang. Aber wie dem auch sei, genug davon. Sie möchten etwas über Harrold wissen.
    Lassen Sie mich überlegen. Er kam vierundsechzig zur Zeitschrift, glaube ich. Direkt nach dem Studium war er beim Boston Globe , aber er wollte zu einem Nachrichtenmagazin, nach New York. Er kam zu einem günstigen Zeitpunkt. Es war gerade so eine Art Wachablösung – viele von der alten Garde gingen in den Ruhestand. Ich war damals selbst gerade ein oder zwei Jahre bei der Zeitschrift. Ich war von der Times gekommen. Er stieg also ziemlich schnell auf, nachdem er bei uns angefangen hatte. Ich schickte ihn praktisch sofort auf Reportagen. Er war ein großartiger Reporter. Sehr aggressiv. Er ließ nie locker, solange er nicht die ganze Story hatte. Er hat die Leute entweder gelöchert bis zum geht nicht mehr oder er hat sie mit Charme eingewickelt. Ich glaube übrigens, daß seine körperliche Größe ihm dabei gut zustatten kam. Er war ja ein sehr imposanter Mann. Sie kennen ihn ja. Ungefähr einsneunzig groß, denke ich, an die neunzig Kilo, aber überhaupt nicht dick, einfach muskulös. Ich bin ziemlich sicher, daß er in der Footballmannschaft von Yale gespielt hatte. Aber er war nicht so ein Angeber wie viele dieser Typen, die von den Nobeluniversitäten kommen. Er war eher ein Einzelgänger. Und diese Augen! Kohlschwarz. Er hatte einen Blick drauf, mit dem konnte er einen förmlich festnageln, bis man klein und häßlich wurde. Ich hab ein paarmal erlebt, wie er das machte. Ganz schön beeindrukkend.
    Harrold English war ein echter Profi. Wir waren nicht direkt Freunde, aber wir haben einige interessante Mittagsstunden miteinander verbracht. Sie wissen ja, wie das ist; nach dem zweiten Martini kommt man richtig ins Gespräch. Er sagte einmal, er hätte eine ziemlich traurige Kindheit gehabt, trotz des vielen Geldes. Seine Mutter starb, als er noch ein kleiner Junge war, und mit seinem Vater hat er sich nie verstanden. Muß ein ziemlich harter Brocken gewesen sein nach allem, was ich gehört habe. Von anderen Verwandten war nie die Rede.
    Ich mochte seinen Stil, er schrieb klar und geradlinig und hielt die eigene Person im Hintergrund. Das hat mir gefallen. Man spürte seine Intelligenz, wenn man den Text las, aber die Sache blieb immer das Wichtigste. Er war keiner dieser Autoren, die einem immer mit ihrer ungeheuren Virtuosität imponieren wollen. Bei ihm gab es keine Schnörkel, und er hatte immer seine Fakten beisammen.
    Maureen hatte einen ganz anderen Stil. Ich würde sagen, weiblicher, nur würde ich mich damit wahrscheinlich ganz schön in die Nesseln setzen. Sie hatte einen anderen Rhythmus, flüssiger. Ich mochte ihre Art zu schreiben, aber man mußte ihr immer einen kleinen Tritt geben, damit sie ein bißchen tiefer schürfte. Es fiel ihr schwer, die Fragen zu stellen, bei denen es wirklich ans Eingemachte ging. Irgendwann mal kam sie zu mir und erklärte, sie hätte genug davon, immer nur über Trends zu schreiben, da hatte ich sie nämlich eingesetzt. Ich war ein bißchen pikiert, aber ich konnte sie verstehen und habe sie zu den Inlandsnachrichten versetzt. Da war sie sehr gut. Bis sie nicht mehr reisen konnte.
    Ich glaube, ich habe erst nach gut einem halben Jahr mitgekriegt, daß die beiden was miteinander hatten. Als ich davon Wind bekam, war ich nicht sehr glücklich darüber, das muß ich sagen. Ich habe solche Büroaffären des öfteren erlebt, sie machen immer Ärger. Zu Hause gibt’s Krach, was tut man im Büro? Aber Maureen und Harrold waren absolut cool, wie ich schon sagte. Man hätte nie was geahnt, wenn man es nicht gewußt hätte.
    Gerade deshalb ist es ja so – Herrgott noch mal – unglaublich. Es fällt mir sogar jetzt noch schwer, es zu glauben. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Schön, man hört ab und zu solche Geschichten, aber da geht’s doch immer um irgendeine Frau aus der Unterschicht, die mit sechs Kindern in Arkansas oder Harlem sitzt und einen Alkoholiker zum Mann hat – so in der Richtung jedenfalls.
    Von Leuten wie Harrold und Maureen hört man so was höchst selten.
    Man sollte doch meinen, es wäre irgendwas zu spüren gewesen. Und Harrold war kein

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