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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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bißchen Zärtlichkeit. Nichts Ernstes, nur ein bißchen Trost. Ich hab mir gedacht …« Er zuckte die Achseln.
    Ich sagte nichts.
    »Also, nichts für ungut, hm?«
    Ich sah zu meinen Füßen hinunter.
    »Na, kommen Sie schon, Füchslein, nehmen Sie’s mir nicht übel.«
    Ich sah ihn an. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck echter, wenn auch nicht gerade tiefer Besorgnis. Er hatte vielleicht versucht, die Situation auszunützen, aber er hatte nichts Böses gewollt. Er hatte einfach gemeint, es wäre einen Versuch wert.
    »Nichts für ungut«, sagte ich.
    Er atmete mit demonstrativer Erleichterung auf und tat so, als wischte er sich den Schweiß von der Stirn. »Na schön«, sagte er. »Dann wär das geregelt.« Er begann wieder, mit seinen Schultern zu wackeln.
    Wie lange, dachte ich, ist es her, seit ich zu einem Mann nein sagen konnte, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen? Seit ich überhaupt fähig war, zu einem Mann nein zu sagen. Ich war beinahe froh, daß Willis gefragt hatte, trotz der kurzen Verlegenheit zwischen uns.
    »Da ist Jack.« Willis wandte sich ab und trat zum Fenster.
    Ich folgte ihm und sah mit ihm zum Wasser hinaus. Das grün-weiße Hummerboot war in den Kanal eingefahren und näherte sich seinem Anlegeplatz. Wir sahen zu, wie der Mann im gelben Ölmantel das Boot an der Boje festmachte und ins Cockpit zurücksprang, um den Motor auszuschalten – anmutig und gewandt in seinen Bewegungen.
    »Der spinnt«, sagte Willis. »Bei dieser Eiseskälte würden mich keine zehn Pferde da rauskriegen, aber Jack ist das scheißegal – entschuldigen Sie das harte Wort.«
    Der hochgewachsene Mann mit dem sandblonden Haar verfrachtete Eimer voll Hummer in das Ruderboot, das er längsseits an seinen Kutter herangezogen hatte. Dann ging er in die Kabine zurück und schien eine Tür zu sichern.
    »Wenn ich natürlich so ein Familienleben hätte wie er, wäre ich vielleicht auch das ganze Jahr auf dem Wasser. Seine Frau ist richtig schwermütig. Die rührt keinen Finger im Haus. Das muß alles Jack machen. Mit seiner Tochter zusammen. Mir haben die Kinder immer leid getan. Die sind nett und anständig, aber in dem Haus geht’s traurig zu. Meine Frau, Jeannine, ist mal rübergegangen und wollte ein bißchen nach dem Rechten sehen, Rebecca war in ihrem Zimmer und hat sich geweigert rauszukommen. Jeannine hat gesagt, sie hätte sie hinter der Tür heulen hören. Sie haben hier unten an der Straße ein kleines Haus. Sie weint sich fast jeden Abend in den Schlaf, hab ich gehört. Jack redet ja nicht viel drüber, aber man sieht’s ihm an. Aber eines muß man ihm lassen, er hat immer zu ihr gestanden. Sie hat auf ihn gewartet, als er von hier fort ist, und wie er zurückgekommen ist, hat er sie geheiratet.«
    Er spähte mit zusammengekniffenen Augen zum Fenster hinaus, als hätte irgend etwas sein Interesse erregt.
    Der Mann im Ölmantel ruderte an Land. Das Wasser leuchtete in einem tiefen, frischen winterlichen Blau.
    »Rebecca ist erst nach der Heirat, nachdem die Kinder geboren waren, so runtergekommen. Angeblich soll das bei Frauen manchmal vorkommen. Aber ich sage, schuld dran sind das Meer und das Wetter hier. Das ewige Grau und die langen Winter – da kann man schon trübsinnig werden.«
    Der Mann im Ölmantel zog sein Boot den Strand herauf und machte es an dem Eisenring fest.
    »Er muß natürlich wegen den Kindern bei ihr bleiben. Obwohl ich manchmal denke, für die Kinder wär’s besser gewesen, wenn er gegangen wäre und eine andere geheiratet hätte. Na ja, man weiß nie, warum ein Mensch das tut, was er tut. Vielleicht liebt er sie immer noch. Wer weiß das schon.«
    Willis wandte sich vom Fenster ab.
    »Ich muß los«, sagte er. »Die anderen unten im Fischhaus werden sich schon wundern, wo ich bleibe, und ihre Witze machen. Und wenn ich noch ein Bier trinke, schlaf ich ein. Dann ziehen sie mich erst recht durch den Kakao.«
    Er warf die beiden Dosen in den Müll und ging zur Tür.
    »Also«, sagte er, »Sie kommen zurecht, hm?«
    Ich nickte und dankte ihm noch einmal für den Fisch.
    Er winkte ab. Dann sah er mich an.
    »Ich muß Körbe flicken«, sagte er.
    Gegen Abend begann Caroline quengelig zu werden, dann fing sie an zu weinen und hörte nicht mehr auf. Ich wollte sie stillen, um sie zu beruhigen, aber sie wollte die Brust nicht. Sie drehte mit einer heftigen Bewegung den Kopf weg und verzog wie gequält das Gesicht. Wenn sie nichts trinken will, dachte ich, wie kann ich ihr dann helfen? Es

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