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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Linoleum.
    Als ich hinunterkam, saß er am Küchentisch. Vor sich hatte er eine geöffnete Bierdose.
    »Sie haben doch nichts dagegen?« Er hob die Dose hoch.
    Ich schüttelte den Kopf und blieb unschlüssig mitten in der Küche stehen.
    »Nehmen Sie sich doch auch eines«, sagte er einladend, als wären wir in seiner Küche oder als wären wir alte Freunde.
    Ich schüttelte wieder den Kopf. Ich machte das Gas unter der Metallkanne mit dem Kaffee an und wartete am Herd, bis der Kaffee warm wurde.
    »Ich möchte gern für den Fisch bezahlen«, sagte ich.
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Kommt nicht in Frage. Betrachten Sie es als Geschenk zum Einstand.« Er lachte. »Nein, im Ernst«, fügte er hinzu. »Ich hab ja selbst nichts dafür bezahlt. LeBlanc hat mir ein paar Pfund in die Hand gedrückt, und ich hab doch nur was für Sie abgezweigt. Ich hab drüben im Fischhaus auf Sie gewartet. Eigentlich müßte ich ja Körbe flicken, aber es ist einfach zu kalt da draußen. Außerdem hab ich Lust, mal ein paar Tage blau zu machen.«
    Er sah sich in der Küche um. Er trommelte mit seinen platten, nach vorne breiter werdenden Fingern auf den Tisch. Ein paar Takte wippte er auf seinem Stuhl auf und nieder. Es hätte mich interessiert, was für eine innere Musik er hörte.
    »Mögen Sie die Grateful Dead ?« fragte er.
    Ich nickte, ohne mich weiter zu äußern.
    »Ich muß einen Baum besorgen«, sagte er unvermittelt. »Jeannine möcht ihn immer gern zeitig haben. Sie sagt, dann hat sie was, worauf sie sich freuen kann. Sie stellt ihn in einer Ecke vom Wohnwagen auf. Ich hab immer Angst vor einem Brand, das ist das einzige.«
    »Vor einem Brand?«
    »Wenn’s in einem Wohnwagen brennt, hat man keine Chance. Das ist genauso, wie wenn man in einem Aluminiumkasten verschmort. Das ist das größte Problem bei einem Wohnwagen, die Brandgefahr. Drum dürfen die Kinder die Lichter auch nur anmachen, wenn ich dabei bin – die Lichter am Baum, mein ich. Und wehe, der Baum wird nicht regelmäßig gegossen. Sobald die ersten Nadeln fallen, fliegt er raus. Aber bei mir nadelt kein Baum vor dem Valentinstag.« Er lachte wieder. »Ich säbel ihn selbst runter, im Wald gegenüber von den Coffins. Setzen Sie sich doch, machen Sie sich’s bequem.«
    Ich goß den aufgewärmten Kaffee in einen Becher und ging zum Tisch. Er schob mit dem Fuß einen Stuhl heraus. Ich setzte mich und trank einen Schluck Kaffee. Ich hatte ihn kochen lassen und verbrannte mir die Zunge bei diesem ersten Schluck. Willis sah mich an. Er schien mein Gesicht eingehend zu mustern. Dann schaute er zum Wohnzimmer hinüber.
    »Schläft die Kleine?« fragte er.
    Ich nickte.
    Er stand auf, ging zum Kühlschrank und holte sich noch eine Dose Bier. Er machte sie auf und leerte sie beinahe mit einem Zug. Dann kam er wieder an den Tisch und blieb neben mir stehen. Mit der Dose in der Hand schaute er zum Kap hinaus.
    »Also, wie schaut’s aus?« fragte er. »Sie und Ihr Mann haben sich endgültig getrennt, richtig?«
    »So ungefähr«, antwortete ich vorsichtig.
    »Und jetzt sind Sie allein«, sagte er mehr zu sich selbst als zu mir.
    »Fürs erste«, sagte ich vage.
    Unbehagliches Schweigen folgte. Ich spürte ihn dicht an meiner Seite. Er war jetzt ruhiger, stand ganz still.
    Mit einem Finger strich er über den Bluterguß an meinem Wangenknochen. Ich zuckte zusammen, nicht vor Schmerz, eher erschrocken über die Berührung.
    »Oh, tut das weh?« fragte er wie erstaunt. »Tut mir leid. Das wollte ich nicht. Die Stelle muß ja ganz schön empfindlich sein.«
    Ich stand auf. Zwischen uns war der Stuhl. Ich legte meine Hand auf die Rückenlehne. »Ich bin müde«, sagte ich. »Ich habe nicht gut geschlafen. Ich glaube, es ist besser, Sie gehen jetzt. Ich würde mich gern hinlegen.«
    Er legte seine Hand auf die meine. Seine Finger waren trocken und kalt. Er sah zu unseren Händen hinunter.
    »Ihnen ist wohl nicht danach«, sagte er, »ein bißchen – na ja, Sie wissen schon – ein bißchen zu kuscheln, solang die Kleine schläft.«
    Ich zog langsam meine Hand unter der seinen hervor und verschränkte die Arme. Die Brust war mir eng, und einen Moment lang bekam ich kaum Luft.
    »Nein«, sagte ich. »Nein.« Und schüttelte den Kopf.
    Er zog hastig seine Hand weg und schob sie in die Hosentasche. »Tja, hab ich mir fast gedacht.« Er nickte vor sich hin, trank den letzten Schluck Bier aus der Dose, seufzte. »Manchmal braucht eine Frau, die verlassen worden ist, ein

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