Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
Herumkriechen, hatte wahrscheinlich auch nicht gerade gut getan.
Ich hörte Caroline wach werden und hob sie aus dem Kinderbett. Ich trug sie zum großen Bett hinüber und zog die Decke ganz hoch, so daß wir wie in einer warmen Höhle beisammen lagen. So stillte ich sie. Danach schlief sie wieder ein, und ich vielleicht auch, aber ich erinnere mich, daß ich den Geräuschen meiner neuen Umgebung lauschte, um mich mit ihr vertraut zu machen. Ich hörte die Möwen, die, schon wach, über dem Kap kreischten, und ich hörte den leisen Wind, der mit dem Sonnenaufgang aufgekommen war.
Ich rutschte aus dem Bett, baute um Caroline herum ein sicheres Nest, und ging nach unten, um mir eine Tasse Kaffee und eine Schale Cornflakes zu machen. Die Sonne war aufgegangen, und es würde ein klarer Tag werden. Ich saß am Tisch und schaute hinaus. Das graue Wasser färbte sich erst rosig, dann violett. Ich hörte wieder ein Fahrzeug draußen auf der Straße und sah einen blau-weißen Pick-up hinter der Hecke hervorkommen. Er hielt vor dem grauen Fischhaus. Ein Mann in einer Seemannsjacke und einer blauen Wollmütze stieg aus und trug einen Karton mit Tau und irgendwelchen Metallteilen in die Hütte. Ein paar Minuten später stieg Rauch aus einem Kamin auf. Als der Mann die Tür wieder öffnete, hörte ich aus einem Radio drinnen das alberne Gequassel eines Discjockeys. Der Mann ging zum Heck seines Wagens, nahm mehrere Hummerfallen heraus und trug sie in die Hütte. Danach kam er nicht wieder heraus.
Nach einer Weile begann Caroline zu schreien. Ich holte sie herunter, badete sie im Waschbecken, zog sie an und setzte sie auf den Flechtteppich. Sie schien ganz darauf konzentriert, die Kunst des Krabbelns zu meistern, ließ sich auch von einigen komischen Fehlversuchen und einer Tendenz, statt vorwärts rückwärts zu rutschen, nicht von ihrem Beginnen abhalten. Ich war hingerissen von dem Ausdruck angestrengter Konzentration in ihrem Gesicht, dem Anblick der im Eifer vorgeschobenen kleinen Zunge und ihrer verblüfften Miene, wenn ihre Glieder nicht taten, was sie wollte, und sie platt auf dem Bauch landete.
Ich trank noch eine Tasse Kaffee und machte eine Liste. Ich brauchte eine Uhr, ein Radio und einen Waschsalon. Die schmutzigen Windeln häuften sich bereits, und Caroline hatte bald nichts mehr anzuziehen. Außerdem wollte ich mich nach einem Tragetuch für sie umsehen. Dann würde ich mit ihr am Strand spazierengehen können, sobald es etwas wärmer wurde. Sie auf dem Arm zu tragen, war unpraktisch. Sie war zwar nicht allzu schwer – gerade mal sieben Kilo –, aber es war beschwerlich, sie über längere Strecken zu tragen, da würden mir schnell die Arme weh tun.
Listen schaffen so etwas wie Struktur, aus ziellosem Vorhaben wird feste Absicht, aus unbestimmter Zeit wird ein Tag herausgeschält. Es zählte gar nicht so sehr, daß ich die Uhr selbst nicht hatte, es reichte, daß ich sie auf die Liste gesetzt hatte. Das war ein Fortschritt. Ich überlegte, daß ich mich anziehen, Caroline in ihren Schneeanzug packen und dann nach Machias fahren würde, aber im Moment war ich es zufrieden, einfach dazusitzen, eine Tasse Kaffee zu trinken und entweder die Krabbelversuche meiner Tochter zu beobachten oder, draußen vor dem Fenster, die wechselnden Färbungen des Wassers. Die Ängste der vergangenen Nacht hatte ich vergessen, vielleicht auch nur ihren Geschmack verdrängt. Dies war eine neue Erfahrung, sich vom Moment tragen zu lassen, den Moment zu genießen, ohne schon den nächsten anzupeilen. Ich überließ mich ihr einfach.
Machias gilt bei den Leuten, die in dieser Gegend leben, wahrscheinlich als eine kleine Stadt, mich erinnerte es an eine Vorstadt. Es gab hier mehr Häuser und Geschäfte als in St. Hilaire, aber es war genauso ruhig, der Ort nicht mehr als ein größeres Fischerdorf am Ufer des Machias River. Ich sah ein Sägewerk, eine Möbelfabrik, ein Restaurant, ein Fischgeschäft, einen Rabattladen, einen Party-Shop, eine Kirche, einen A&P Supermarkt und ein denkmalgeschütztes Haus mit Museum, das im Sommer zur Besichtigung geöffnet war. Und ich entdeckte einen Waschsalon. Im Resteladen gab es Buggies im Sonderangebot, und ich hätte gern einen gehabt, aber ich mußte vorsichtig mit dem Geld umgehen, das ich noch hatte, ich wußte nicht, wie lange ich damit auskommen können würde. Aber ich kaufte einen Radiowecker und schlug so zwei Fliegen mit einer Klappe. An einer Wand war ein kleiner Bücherständer –
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