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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Mitfahrersitz hinweg blickend, immer wieder Ausschau nach einem dunklen Punkt, der ein Boot hätte sein können, das sich aus dem Windschatten einer Insel hervorschob oder irgendwo von Bojen umgeben vor Anker lag.
    Den ganzen Tag über war auf dem Kap beinahe ständiges Kommen und Gehen. Einmal hörte ich einen Motor, dann vielleicht die Stimme eines Mannes, der einem anderen etwas zurief. Kurze Worte, Wortsalven im Wind, mit einer Spur Schroffheit unterlegt, Grußworte von Männern, die in ihrer Arbeit nicht innehalten, wenn sie miteinander sprechen.
    Ich glaube, ich hatte mir vorgenommen, nur einen kurzen Blick auf das Weihnachtsfeuer zu werfen, vielleicht ein oder zwei Minuten zu bleiben und dann mit Caroline wieder nach Hause zu fahren. Ich war neugierig auf dieses Dorffest, und ich hätte gern für den Abend etwas vorgehabt, um den Tag zu krönen, aber ich war um Caroline besorgt, ich wollte sie der eisigen Kälte dieses Abends auf keinen Fall zu lange aussetzen.
    Nach jener ersten Irrfahrt zum Hotel war ich die Küstenstraße nie wieder bei Dunkelheit gefahren, aber jetzt, da ich sie besser kannte, gab es inzwischen mir vertraute Stellen und Häuser, an denen ich mich orientieren konnte. Der Himmel war an jenem Abend unendlich weit und voller Sterne, und tief am Horizont hing ein lichtgelber Mond, der einen breiten Lichtstrahl über das leicht gekräuselte Wasser sandte und von Osten her die schlichten Linien der Fischerhäuser und Bauernhäuser beleuchtete.
    Viele Häuser waren mit Lichterketten geschmückt, in anderen brannten elektrische Kerzen in den Fenstern. Hier und dort konnte ich im Wohnzimmer einen geschmückten Baum sehen. Innerlich distanziert, wie ich an diesem Abend war, dachte ich darüber nach, was für ein merkwürdiger Brauch das doch war – einen Baum ins Haus zu schleppen und ihn mit glitzerndem Glas und buntem Papier und elektrischen Kerzen zu schmücken. Ich versuchte mir vorzustellen, was ich von einem solchen Brauch halten würde, wenn ich zufällig mitten im Sommer Karatschi oder Kairo besucht hätte und die Leute dort an irgendeinem islamischen Feiertag blühende Bäume in ihren Häusern aufgestellt und in gleicher Manier geschmückt hätten. Aber ich war wiederum nicht so distanziert, daß mir nicht plötzlich beim Blick in die Fenster an der Küstenstraße lebhafte Erinnerungen gekommen wären an Weihnachten mit meiner Mutter, wie sie es für mich bereitet hatte – mit dem gefüllten Strumpf, der von einem Bücherregal herabhing; den zarten Glaskugeln in den oberen Ästen unseres Weihnachtsbaums, den elektrischen Kerzen, die auch wir im Fenster stehen hatten, den vielen Geschenken (selbstgestrickte Pullover, Handschuhe und Mützen, ein ganzes Sortiment von Spielsachen).
    Schon am Rand des Dorfs konnte man den Feuerschein sehen. Ich parkte hinter der Kirche, legte Caroline in das Tragetuch und knöpfte meinen Mantel darüber zu, so daß nur ihr kleiner Kopf mit der Wollmütze oben herausschaute. Sie hatte sich inzwischen etwas beruhigt, und ich hoffte, sie würde einschlafen, während ich hier umherging.
    Ich ging dem Feuerschein entgegen und machte am äußersten Ring der Menge Halt. Es waren schon viele Menschen da, an die zweihundert, die sich im Kreis um das Feuer versammelt hatten. Dem Feuer am nächsten waren die kleinen Jungen. Mit rötlich erleuchteten Gesichtern sprangen sie tollkühn an das Feuer heran, um abgebrochene Äste und anderes brennbares Material auf den Scheiterhaufen zu werfen, bevor sie hastig wieder an ihre Plätze im Kreis zurückflitzten und mit erhobenen Köpfen die Fontäne von Funken bewunderten, die über der Menge aufstieg. Das Feuer war laut, es knisterte und knackte, und um es herum ging es nicht minder laut zu: Kinder kreischten, Erwachsene warnten, schwatzten, begrüßten einander, klatschten in die Hände, um sie zu wärmen, obwohl selbst am äußeren Rand der Menge, dort, wo ich stand, die Hitze des Feuers spürbar war. Ein- oder zweimal sah ich ältere Jungen, die sich durch das Gewühl schoben und das Friedenszeichen machten, ein anderer trug ein Pappschild mit der Aufschrift: »Schluß mit dem Krieg«. Wo Lücken im Kreis klafften, strömte das flackernde Licht nach außen, beleuchtete das Kriegerdenkmal, einen grünen Volkswagen, der am Rand des Parks stand, einen sehr hohen, geraden Baum, dessen Wipfel ich nicht sehen konnte.
    Ich fand das Feuer gefährlich. Wie leicht konnten die Funken die alten Holzschindeln von Shedds Laden oder Julias

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