Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
Everett. Er hielt einen Jungen am Kragen seiner Lederjacke fest, dann erhielt er von hinten einen Schlag oder einen Stoß, und die Mütze fiel ihm vom Kopf. Auch Willis hatte sich in den Kampf gestürzt und stieß blindwütend unartikulierte Schreie aus. Ich konnte nicht erkennen, auf welcher Seite er war, aber ich sah, wie er einen Jungen in den Unterleib trat. Die Frauen, die dem Tumult am nächsten waren, schrien und riefen die Namen der Jungen: »Billy! Brewer! John! John! Hört auf! Hört sofort auf!«
Ich wich zurück und legte meine Arme fest um Caroline. Es hätte ja sein können, daß der Kampf um sich griff, und ich hatte Angst, Caroline könnte etwas passieren. Das Feuer loderte über den Kämpfenden, aber niemand schenkte ihm jetzt viel Beachtung.
Die Menge teilte sich, und Everett trat hervor. Sein Gesicht war erhitzt, sein Anorak zerrissen, und er hatte seine Mütze noch nicht wieder auf. Er hatte einen Jungen beim Schlafittchen und schob ihn trotz seines Alters schneller vor sich her, als dieser laufen konnte. Auch andere ältere Männer, so um die Vierzig, hatten sich jetzt einige der Kampfhähne geschnappt, und die Leute drehten die Köpfe und sahen zu, wie sie abgeführt wurden. Everett schleppte sein Opfer in die Kirche, und die anderen folgten ihm. Wo sonst hätten sie auch hingehen sollen? Eine Polizeidienststelle gab es nicht.
Die Spannung löste sich. Die Leute begannen aufgeregt miteinander zu reden, jeder wollte etwas anderes gesehen haben. Irgend jemand sagte, eine Gruppe junger Leute hätte die Weihnachtsfeier zu einer Antikriegsdemonstration machen wollen. Ich hörte, wie ein Mann neben mir zu seiner Frau sagte, die Jungen seien aber betrunken gewesen, als bedürfte es keiner weiteren Erklärung.
Auf das Feuer achtete niemand mehr. Es konnte nicht mit den Geschichten konkurrieren, die unter den Leuten die Runde machten. Ich schaute hinüber zu den weißen Häusern am Rand des Parks und sah Julia auf ihrer Veranda stehen. Ich dachte daran, zu ihr hinüberzugehen, ein wenig mit ihr zu schwatzen und ihr frohe Weihnachten zu wünschen. Aber ich wollte gerade jetzt nicht aus der Menge ausscheren und mich nicht vom Feuer entfernen. Ich machte mir Sorgen wegen des Feuers, vielleicht mehr als angemessen war. Ich hatte die Vorstellung, wenn ich ginge, würde ich am nächsten Morgen hören, daß sich ein Gebäude oder ein Baum entzündet hatte und irgend etwas niedergebrannt war. Ich meinte, ich sollte meine Befürchtungen äußern, aber ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen. Ich dachte, ich könnte ja etwas zu Julia Strout sagen. Sie würde wissen, was zu tun war.
Ich erinnere mich, wie ich dastand, gebannt von Unschlüssigkeit, und das Feuer und die Menschen betrachtete. Bilder von der Prügelei verschwammen mit Bildern der Gesichter rund um mich herum. Ich glaubte wieder Willis zu sehen, wie er mit weitausholender Bewegung, bei der seine Hand einen Bogen in die kalte Luft schnitt, einem Jungen eine Ohrfeige gab. Aber die Luft war dünn und wurde immer dünner. Das Feuer entzog uns die Luft, und ich hatte Mühe zu atmen. Ich schaute mich um, ich wollte sehen, ob auch die anderen nicht genug Luft bekamen. Mein Herzschlag erschien mir leicht und schwebend. Dann blickte ich in die Höhe, und die Bäume begannen sich zu drehen.
Everett Shedd
Nach Weihnachten haben natürlich alle gewußt, wer sie war, auch wenn sie vorher keine der Geschichten gehört hatten. Ich weiß nicht genau, was die Ursache war. Aber wenn Sie mich fragen, war die Schlägerei dran schuld. Vielleicht hat sie was gesehen, bei dem ihr böse Erinnerungen gekommen sind, man weiß ja nie. Vielleicht war sie auch nur viel schlechter beisammen, als wir alle gedacht hatten. Ich weiß, daß Julia Strout sich Vorwürfe macht, aber das ist Unsinn. Man kann doch nicht die Verantwortung für einen Menschen übernehmen, nur weil der ein Haus von einem mietet.
Wir machen jedes Jahr zu Weihnachten da auf der Gemeindewiese ein Feuer. Das ist schon zum Ritual geworden. Wir halten das jetzt seit – lassen Sie mich überlegen – ja, ungefähr seit 1910 so. Es hat irgendwann mal von selbst angefangen, die Männer haben auf der Wiese das ganze verrottete Zeug verbrannt, das sie nicht mehr brauchen konnten, und dann haben ein paar Leute angefangen zu singen und so, und jedes Jahr ist ein bißchen mehr Brimborium dazugekommen, und heute ist eben eine richtige Feier draus geworden. Jeden Heiligen Abend zünden wir ein großes Feuer an, und
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