Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
nach rechts. Ich hielt an und stieg aus. Der Reifen vorn rechts war platt.
Es wird Sie wahrscheinlich amüsieren, das zu hören – ich halte Sie für eine Frau, die stolz ist auf Ihre Autonomie –, aber ich hatte noch nie im Leben einen Reifen gewechselt. Ein Freund meiner Mutter, der mich auch das Autofahren gelehrt hatte, hatte mir einmal gezeigt, wie man’s macht, aber eigenhändig zugepackt hatte ich noch nie. Aus alter Gewohnheit sah ich mich um, als müßte ein Helfer auftauchen – wo blieb Willis, wenn man ihn wirklich mal brauchte? –, aber die Welt um mich herum war an diesem Tag besonders trübe und leer. Jetzt, da die Boote auf dem Trocknen waren, schienen die Männer sich einen Tag freigenommen zu haben. Und der grün-weiße Kutter war noch nicht zurückgekehrt. Na schön, dachte ich, dann warte ich eben bis morgen, da kommt vielleicht jemand, aber der Gedanke, in einem Notfall mit dem Kind ohne Auto festzusitzen, behagte mir gar nicht. Ich trug also Caroline ins Haus zurück, wo es warm war, und stellte sie in ihrer Tragetasche auf den Teppich. Wach und unruhig von dem ganzen Hin und Her begann sie zu weinen.
Ich versprach ihr, ich würde gleich wieder da sein, unter den gegebenen Umständen eine höchst unrealistische Prognose, und lief wieder hinaus, um im Kofferraum des Wagens nach dem nötigen Werkzeug zu suchen. Ich fand den Wagenheber, den Ersatzreifen und einen Mutternschlüssel. Theoretisch wußte ich genau, wie man einen Reifen wechselte. Ich schaffte es, den Wagen in die Höhe zu hieven, aber die Muttern bekam ich nicht auf. Ich stellte mich auf den Schlüssel, aber selbst unter meinem Gewicht rührte er sich nicht. Drinnen im Haus konnte ich Caroline schreien hören.
Ich überlegte mir, es sei vielleicht besser, zu warten bis sie schlief, aber bis dahin wäre es dunkel gewesen, und die Arbeit noch schwieriger geworden. Ich dachte, wenn ich auf dem Schlüssel auf und ab hüpfen würde, würden sich die Muttern vielleicht doch lockern, und so kam es, daß ich, an meinen Wagen geklammert, um nicht die Balance zu verlieren, wahrscheinlich fluchend über mein Pech, auf dem Mutternschlüssel stand und wie ein Gummiball auf und ab hüpfte, als ich hinter mir plötzlich eine Stimme hörte.
Ich hatte das Boot nicht hereinkommen sehen. Von der Auffahrt aus war der Kanal nicht sichtbar. Und ich hatte das vertraute Geräusch nicht gehört, weil Carolines Schreien mich abgelenkt hatte.
»Die ziehen die immer so fest an, daß es ein Wunder ist, wenn die überhaupt jemand runterkriegt«, sagte er. »Warten Sie, lassen Sie mich mal versuchen.«
Er bückte sich und riß mit heftigem Ruck an dem Mutternschlüssel. Ich konnte nur seinen Hinterkopf sehen. Seine Ohren waren rot von der Kälte. Ich hatte ihn nie eine Mütze tragen sehen. Er schraubte die Muttern auf und warf sie in die Radkappe. Drinnen im Haus brüllte Caroline wie am Spieß.
»Ich muß mal nach dem Kind sehen«, sagte ich.
Er nickte kurz und zog das Rad von der Achse. Ich lief ins Haus, nahm Caroline auf den Arm und ging wieder hinaus, um dem Mann im gelben Ölmantel zuzusehen. Er arbeitete schnell und methodisch, als hätte er schon Hunderte von Reifen gewechselt. Aufmerksam drehte er den beschädigten Reifen in seinen Händen, um ihn zu prüfen. Dann legte er ihn in den Kofferraum meines Wagens.
»Im Moment kann ich nicht erkennen, was da los ist. Am besten bringen Sie ihn zu Everett, der flickt ihn Ihnen, wenn er kann.« Er wischte sich die Hände an einem Lappen ab, den er im Kofferraum gefunden hatte.
»Ich bin froh, daß Sie vorbeigekommen sind«, sagte ich. »Ich weiß nicht, was ich sonst getan hätte.«
»Irgend jemand wäre schon gekommen«, meinte er. »Na, zahnt die Kleine noch?«
Ich schaute zu Caroline hinunter. »Seit dem Abend nicht mehr«, antwortete ich. »Sie war richtig gut zu haben.«
Ich hob den Kopf. Er starrte mich an, starrte mir mitten ins Gesicht. Ich hatte nicht an den Schal gedacht, während ich versucht hatte, den Reifen zu wechseln. Vier oder fünf Sekunden lang musterte er mich scharf, ohne etwas zu sagen, und ich wandte mich nicht ab. Ich dachte, was für ungewöhnliche Augen er hat. Sie schienen eigentlich gar nicht in dieses Gesicht zu gehören.
Ich hatte den Eindruck, daß er etwas sagen wollte, aber dann warf er nur den Lappen in den Kofferraum und klappte ihn zu.
»Vielen Dank«, sagte ich.
»Gern geschehen«, antwortete er und wandte sich zum Gehen.
Genau in diesem Moment kam ziemlich
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